Laut Beschluss vom 2. Oktober 2019 gibt es in Deutschland spätestens ab dem 1. Juni 2020 einen Regelarbeitsmarkt. Wir erklären, welche Veränderungen für die Vermarktung von Regelenergie anstehen.
Es ist geschafft: Nach einer langen Phase der Unklarheiten und Irrwege, hier sei auf das Mischpreisverfahren verwiesen, bekommt Deutschland spätestens im Juni 2020 einen Regelarbeitsmarkt. Die im Zuge der Harmonisierung der europäischen Regelenergiemärkte beschlossene Einigung erfindet den Regelenergiemarkt nicht von Grund auf neu – dennoch ändern sich einige Bestimmungen und Prinzipien für die Marktteilnehmer.
Erste und wichtigste Neuerung: Dem jetzigen Regelleistungsmarkt für Sekundär (aFRR)- und Minutenreserve (mFRR) wird ein Regelarbeitsmarkt hinzugefügt. Der Handel mit Leistung und Arbeit findet also künftig auf zwei vollständig voneinander getrennten Märkten statt. Mussten sich Anbieter von Regelenergie bisher zuerst in der Leistungspreisauktion erfolgreich durchsetzen, um überhaupt in die Arbeitspreisauktion zu kommen, können sie nun direkt Arbeitsgebote auf dem Regelarbeitsmarkt anbieten, auch wenn sie zuvor keinen Zuschlag auf dem Leistungsmarkt erhalten haben. Die Bezuschlagung erfolgt weiterhin nach der Höhe des Gebotspreises, also im pay-as-bid-Verfahren. Bei der Primärregelleistung (FCR) gibt es auch weiterhin keine Unterteilung zwischen Regelleistung und Regelarbeit, es ändert sich demnach nichts am Angebotsverfahren. Das im Juli eingeführte Marginal Pricing bleibt bestehen.
Die Möglichkeit zur Teilnahme am Regelarbeitsmarkt ohne eine vorherige, erfolgreiche Teilnahme in der Leistungspreisauktion ist eine direkte Vorgabe der Europäischen Kommission, die sich aus der Verordnung 2017/2195 zur „Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem“ ergibt: Demnach müssen alle für die Teilnahme an den unterschiedlichen Regelenergiearten präqualifizierten Anbieter diskriminierungsfrei Regelenergie an einem Regelarbeitsmarkt anbieten dürfen.
Nicht zuletzt im Hinblick auf die Einführung eines gesamteuropäischen Regelenergiemarktsystems über die Plattformen PICASSO und MARI ist dieser Schritt bedeutsam: So soll der bestehende grenzüberschreitende Austausch von PRL im europäischen Netzregelverbund durch den grenzüberschreitenden Austausch von SRL und MRL ergänzt werden. Hierzu sind natürlich noch weitere Harmonisierungsschritte nötig.
Durch die Möglichkeit, auch ohne Leistungspreisauktion Regelenergie am Regelarbeitsmarkt anzubieten, kommt dem Regelleistungsmarkt in Zukunft die Funktion einer Versicherung für den Regelarbeitsmarkt zu: Fällt dieser beispielsweise aufgrund technischer Probleme aus, kann auf die Anbieter des Regelleistungsmarkts als Backup zurückgegriffen werden. Jeder, der im Regelleistungsmarkt einen Zuschlag erhalten hat, sollte dennoch einen Arbeitspreis im Regelarbeitsmarkt bieten, anderenfalls könnte er für 0 Euro abgerufen werden.
Ist der von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) ausgeschriebene Regelenergiebedarf am Regelarbeitsmarkt gedeckt, setzt dieser die nicht benötigten, „überschüssigen“ Gebote für eine weitere Vermarktung frei. Die Anbieter können ihre überschüssigen Flexibilitäten dann am Intraday-Markt oder anderswo vermarkten. Fallen Anbieter, die einen Zuschlag auf dem Regelleistungsmarkt erhalten haben, auf dem Regelarbeitsmarkt aus der Merit Order, bekommen diese im pay-as-bid-Verfahren ihr Regelleistungsmarktgebot ausbezahlt.
Die Zeitscheibensystematik von SRL und MRL am Regelarbeits- und Regelleistungsmarkt ist identisch; die Regelenergie wird in sechs Zeitscheiben á vier Stunden gehandelt. Die Auktion für den Regelarbeitsmarkt beginnt mit der Bezuschlagung der Gebote auf dem Regelleistungsmarkt am Vortag (SRL um 8 Uhr, MRL um 10 Uhr) und schließt zukünftig eine Stunde vor Beginn der jeweiligen Produktzeitscheibe. Mit einer Überführung des noch nationalen Systems in die europäischen Plattformen PICASSO und MARI sind zukünftig erneute Anpassungen der Zeitscheiben und Gebotsabgabefristen nötig.
Bis zum Ende der Gebotsabgabefrist können alle Anbieter am Regelarbeitsmarkt, ob sie zuvor am Regelleistungsmarkt teilgenommen haben oder nicht, ihre Arbeitsgebote frei anpassen. Im Regelleistungsmarkt bereits bezuschlagte Anbieter sind allerdings dazu verpflichtet, mindestens die zuvor bezuschlagte Menge im Regelarbeitsmarkt anzubieten – anderenfalls kommen sie ihren Vorhaltepflichten nicht nach.
Sollten auf dem Regelleistungsmarkt zwei Anbieter gleich hohe Leistungspreisgebote bieten, entscheidet der Zufall, wer den Zuschlag für das Gebot bekommt. Das als Alternative zu diesem Verfahren vorgeschlagene Zeitstempelverfahren lehnte die Beschlusskammer ab, da „[dies] zu einem Wettlauf um den frühesten Eingangsstempel und damit zu einer Benachteiligung von Marktteilnehmern mit einer längeren (Daten)Leitung führe“, wie im Originaldokument zu lesen ist.
Die ÜNB veröffentlichen die bezuschlagten Arbeitspreisgebote nach wie vor mit dem Abschluss der Auktion. Da die nichtbezuschlagten Gebote bei dieser Auflistung fehlen, bleibt die Merit Order jedoch insgesamt intransparent.
Alle 15 Minuten veröffentlichen die ÜNB zudem die Salden aller Regelzonen, die tatsächlich eingesetzte Regelarbeit sowie die im Rahmen der Auslandskooperation eingesetzten Regelarbeitsmengen.
Vertreter der Bundesnetzagentur und von Bilanzkreisverantwortlichen warnten im Verlauf der Konsultationen vor der Möglichkeit extremer Preisspitzen auf dem Regelarbeitsmarkt. Zu solchen Preisspitzen war es beispielsweise am 14. November 2017 gekommen: Hier löste ein Gebot von 77.777 Euro pro MWh eines marktbeherrschenden, vermutlich konventionellen Regelenergieanbieters erhebliche Unruhe aus. Diese Unruhe hatte nicht nur die Einführung einer Preisobergrenze von 9.999 Euro, sondern auch die letztlich gescheiterte Einführung des umstrittenen Mischpreisverfahrens am Regelenergiemarkt zur Folge.
Zumindest ein technisches Preislimit soll auch am neuen Regelarbeitsmarkt nach der erneuten Abschaffung der zwischenzeitlich wieder eingeführten Preisgrenze von 9.999 Euro pro MWh für Arbeitspreisgebote bestehen bleiben: Regelenergieanbieter dürfen künftig maximal 99.999,99 Euro pro MWh aufrufen.
Vermutlich aufgrund der Geschehnisse auf dem Regelenergiemarkt, die wir in unserem Blog kritisch begleitet haben, baten sich ÜNB im Verlauf der Marktkonsultationen das Recht aus, auffällige oder in einem preislichen Missverhältnis stehende Gebote vom Zuschlag auszuschließen.
Dieser Bitte kam die Beschlusskammer der Bundesnetzagentur (BNetzA) jedoch nicht nach: Stattdessen räumte sie den ÜNB die Möglichkeit ein, sich bei auffälligen oder verdächtigen Geboten beim Anbieter durch Nachfrage rückzuversichern. Dies schaffe eine Korrekturmöglichkeit nach dem Prinzip „Vier Augen sehen mehr als zwei“ für die Anbieter und die Marktbeteiligten, so die Verantwortlichen der BNetzA.
Die Einführung des Regelarbeitsmarktes ist für spätestens den 1. Juni 2020 vorgesehen. Auch eine frühere Einführung ist möglich, die ÜNBs müssten diese auf ihrem gemeinsamen Portal regelleistung.net mindestens eine Woche im Voraus ankündigen. Sicher ist: Eine Rückkehr zum Mischpreisverfahren wird es nicht geben. Dieser Möglichkeit stehen nicht nur die Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Juli 2018, sondern auch europarechtliche Vorschriften entgegen, wie die Beschlusskammer eindeutig festlegte.
Was erwarten Marktakteure – und vielleicht auch der Regulierer – von dem künftigen Marktdesign am Regelenergiemarkt? Durch die Möglichkeit, Regelarbeit künftig auch ohne lange Vorlauffrist zwischen Gebotsabgabe und Lieferung anbieten zu können, sollten mittelfristig neue Technologien am Regelarbeitsmarkt teilnehmen können. Dies könnten Akteure aus dem Lastmanagement sein, denen es naturgemäß schwer fällt, die angebotene Flexibilität frühzeitig und für einen langen Zeitraum im Voraus determinieren zu können. Durch die Möglichkeit, sich mit nur wenigen Viertelstunden Vorlauf in den Regelarbeitsmarkt einzubieten, eröffnen sich für diese Akteure neue Partizipationsmöglichkeiten. Ähnliches gilt in der Theorie natürlich auch für fluktuierende Stromerzeuger wie Photovoltaik und Windkraft, die heute keine Rolle auf dem Regelenergiemarkt spielen, zukünftig aber durchaus negative Regelarbeit bereitstellen könnten.
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Sollte sich die Akteursvielfalt auf dem Regelarbeitsmarkt also erhöhen, wird dies Druck auf die Höhe der bezuschlagten Arbeitspreise und somit auf die Höhe der Ausgleichsenergiepreise in der Bilanzkreisbewirtschaftung ausüben. Während Arbeits- und Ausgleichsenergiepreise sinken könnten, wäre es denkbar, dass Leistungspreise hingegen ansteigen, da manche Akteure ökonomisch gezwungen sein könnten, die niedrigeren Arbeitspreise durch höhere Leistungspreise zu kompensieren.
Natürlich sind diese Überlegungen lediglich Annahmen. Auch wir haben keine Kristallkugel, die uns den Regelenergiemarkt des Sommers 2020 präsentiert. Jedoch scheint das Marktdesign des Regelarbeitsmarkts aus unserer heutigen Sicht eine ausgewogene Balance zwischen dem notwendigen Anreiz zur Bilanzkreistreue und der Wertigkeit von kurzfristigen Reserven zur Netzstabilisierung zu ermöglichen.
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