Am 5. Januar 2018 zog die Bundesnetzagentur (BNetzA) für Gebote am Regelenergiemarkt eine Höchstgrenze von 9.999 Euro pro Megawattstunde (MWh) ein. Im Gespräch mit Johannes Päffgen, Leiter Energiehandel bei Next Kraftwerke, erläutern wir Hintergründe und Ursachen dieser Maßnahme.
Christian Sperling: Hallo Johannes, warum hat die Bundesnetzagentur die Regelenergiearbeitspreise auf genau 9.999 Euro begrenzt?
Johannes Päffgen: Diese Grenze wurde aus dem Intradaymarkt übernommen. Am 14. November 2017 wurde durch die ACER (Agency for the Cooperation of Energy Regulators, Red.) eine Grenze für Gebote am Intradaymarkt von 9.999 Euro pro Gebot eingeführt, die bereits vorher in der Diskussion war. Diese Höchstgrenze wurde nun auch für den Regelenergiemarkt übernommen.
Christian Sperling: Kam es denn am Intradaymarkt jemals zu einem solchen Preis?
Johannes Päffgen: Wertet man die Preise am Intradaymarkt seit 2012 aus, lassen sich keine solchen Preissprünge finden, nicht einmal annähernd.
Christian Sperling: Wie konnte es dann aber zu einem Arbeitspreisgebot von 77.777 Euro pro MWh Minutenreserveleistung am Regelenergiemarkt kommen?
Johannes Päffgen: Am Regelenergiemarkt wird zum einen auf den Leistungspreis, zum anderen auf den Arbeitspreis geboten. Wer beim Leistungspreis null Euro bietet, wird ziemlich sicher bezuschlagt und kann – zumindest in der Theorie – einen maximalen Arbeitspreis anbieten.
Am 17. Oktober 2017 passierte Folgendes: Ein Marktteilnehmer bei einem Leistungspreis von 0 Euro bot als Arbeitspreis 77.777 Euro pro MWh. Er bekam dann den Zuschlag, weil zu viele andere Marktteilnehmer leider Leistungspreise größer als Null, oft nur wenige Cent, geboten hatten.
Christian Sperling: So rutschte der Marktteilnehmer dann in die Abruf-Merit-Order?
Johannes Päffgen: Genau. Die Bezuschlagung erfolgt nämlich nach der Höhe der Leistungspreise von niedrig nach hoch bis die angeforderte Menge vom ÜNB erreicht ist. So wurden die Gebote in der Abruf-Merit-Order einsortiert – auch das 77.777-Euro-Gebot. Erschwerend kam hinzu, dass der Marktteilnehmer zusätzlich eine große Menge an Regelenergie anbot: So kam fast ein Viertel des insgesamt angebotenen Marktvolumens für die Zeitscheibe 16-20 Uhr der positiven MRL von diesem Anbieter – und nahezu die Hälfte der tatsächlich bezuschlagten Menge.
Christian Sperling: Aber die Kombination aus hoher Menge, niedrigem Leistungspreis und hohem Arbeitspreis gab noch nicht den Ausschlag?
Johannes Päffgen: Nein, denn das Stromnetz und das Verhalten der ÜNB spielen immer noch die entscheidende Rolle bei der Entscheidung über einen Abruf: Es gab stärkere Schwankungen, die einen größeren Bedarf an Regelenergie hervorriefen. Hier rutschte das 77.777-Euro-Gebot hinein und wurde tatsächlich abgerufen. Dies wirft natürlich auch die Frage auf, warum der ÜNB in diesem Moment tatsächlich so viel MRL abrufen musste – es hätte vielleicht auch gereicht, etwas mehr, deutlich günstigere, Sekundärregelleistung abzurufen. Aber natürlich hat die Versorgungssicherheit immer Vorrang.
Christian Sperling: Schließlich hatte das hohe Gebot ja gravierende Folgen für andere Marktteilnehmer …
Johannes Päffgen: Genau, denn über die Ausgleichsenergieformel kam es an diesem Tag auch zu extrem hohen reBAP-Preisen, sofern diese für die einzelnen Marktteilnehmer aufgrund unausgeglichener Bilanzkreise anfielen.
Christian Sperling: Wie hoch fielen die reBAPs dann an diesem Tag aus?
Johannes Päffgen: Die reBAPs lagen über 20.000 Euro pro Megawattstunde, sonst bewegen sie sich eher im zwei- bis niedrigen dreistelligen Bereich. Extreme Folgen hatte dies insbesondere für Marktteilnehmer, die keine aktive Bilanzkreisbewirtschaftung haben und über den Intradaymarkt im Viertelstundenhandel ausgleichen könnten; hier wären beispielsweise viele Stadtwerke oder auch größere industrielle Stromverbraucher zu nennen. Für diese können reBAPs in dieser Größenordnung durchaus schwerwiegend wirken.
Christian Sperling: Kommen wir noch einmal zum Gebot von 77.777 Euro zurück – das klingt sehr willkürlich. Hätte auch mehr eingegeben werden können?
Johannes Päffgen: Ja, aber nicht viel. 99.999 Euro wären möglich gewesen, ein größerer Betrag lässt sich rein systemseitig nicht eingeben. Ein Anbieter hat am besagten Tag exakt 99.999 €/MWh geboten.
Christian Sperling: Sollte der Regelenergiemarkt nicht gegen solche Auswüchse abgesichert sein?
Johannes Päffgen: Grundsätzlich sollte so etwas nicht passieren, aber hier fiel wesentlich die Konzentration von Marktmacht bei dem betreffenden Marktteilnehmer ins Gewicht: Hätte der betreffende Teilnehmer nicht so eine große Menge geboten, etwa ein Viertel der zu diesem Zeitpunkt überhaupt angebotenen MRL-Menge, sondern beispielsweise nur 5 MW geboten, wäre der Abruf zu diesem Preis sicherlich nicht so sehr ins Gewicht gefallen.
Allerdings haben auch die anderen Marktteilnehmer zum Problem beigetragen: Hätten diese auf ihre Leistungspreise in Centhöhe verzichtet und ebenfalls null Cent geboten, hätten sie ihre Gebote erfolgreich unterbringen können. So würde der Zuschlag nach dem Arbeitspreis und nicht nach dem Leistungspreis erfolgen – ein 77.777-Euro-Gebot hätte dann keine Chance, der Markt hätte es also regeln können.
Christian Sperling: Verstoßen solche Geschäfte am Regelenergiemarkt nicht gegen „die guten Sitten“?
Johannes Päffgen: Geht man ausschließlich mit der Logik des Marktes an das Problem heran, hat der betreffende Marktteilnehmer zunächst einmal persönlich ein sehr gutes Geschäft gemacht. Denn der Ausgleichsenergiemechanismus, welcher die reBAPs errechnet, ist auch in einer erzieherischen Funktion gedacht und hält die Marktteilnehmer dazu an, ihre Bilanzkreise stets auszugleichen.
Durch reBAPs in fünfstelliger Höhe wird aus einer Erziehungsmaßnahme eine schwerwiegende Kostenbelastung bis hin zu einer Existenzgefährdung – dies kann nicht im Sinne der Regulierungsbehörden sein. Immerhin werden durch die zusätzlichen Kosten nur die Bilanzkreisverantwortlichen und nicht der Strom-Endkunde belastet.
Christian Sperling: Ist die Entscheidung der BNetzA zur Begrenzung der Arbeitspreisgebote daher zu begrüßen?
Johannes Päffgen: Ja und nein. Wir sind bei Next Kraftwerke immer bestrebt, marktwirtschaftliche Lösungen für Probleme des Strommarktes zu finden. Auch dass die Entscheidung insgesamt nicht sehr transparent gefällt wurde, stimmt uns nicht nur glücklich. Marktteilnehmer aus dem industriellen Umfeld sind zum Teil auf höhere Arbeitspreiserlöse angewiesen, da sie über Abrufe ihre Netzentgelte drastisch erhöhen könnten. Auch bei diesem Thema bietet sich demnach noch Diskussionspotenzial.
Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar von Johannes Päffgen für energate, veröffentlicht am 9. Januar 2018:
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Begrenzung bei Regelenergie erreicht nicht Wurzel des Problems
Trotzdem wird die nun beschlossene Begrenzung die Wurzel des Problems nicht unbedingt erreichen. Denn hohe Arbeitspreisgebote - so unverhältnismäßig sie in diesem einen Fall auch gewesen sein mögen - sind auch immer ein Zeichen für unverhältnismäßig geringe Refinanzierungsmöglichkeiten auf Leistungspreisebene. In der heutigen Phase, in der konventionelle Überkapazitäten nicht nur die Klimaziele blockieren, sondern auch die Merit Order an den Leistungsmärkten, ist das Marktdesign einer gehörigen Portion Stress ausgesetzt. Denn gesucht wird die Quadratur des Kreises: Möglichst viel gesicherte Leistung zu möglichst geringem Preis bei zugleich möglichst flexibler Einsatzoffenheit auch für kurzfristige Aktivierung von Reserven, beispielsweise aus dem Demand Side Management. Man könnte (und sollte) nun möglichst schnell konventionelle Überkapazitäten abbauen. Geschieht dies nicht, wäre auch die Einführung einer langfristigen Leistungsausschreibung bei gleichzeitigem Zulassen von kurzfristigen Regelarbeitsgeboten, sogenannten "Free Bids", eine Option. Diese hätte wohl einen ähnlichen Effekt, um den letztjährigen Auswüchsen zu begegnen, ohne aber den Markt mit einer festen Grenze zu beschränken. Leistung bekäme wieder einen Wert und die Verlagerung des Gewinnstrebens auf den Arbeitspreis würde sich wohl von alleine wieder geben. Auch sollte man bedenken, dass der europäische Trend auf Flexibilitätsmärkten ohnehin zu sogenannten Free Bids geht, also zu einem nachträglichen "Einbieten" auf den Regelarbeitsmarkt nach Abschluss der Merit Order auf Leistungsebene.
Erfolge im Regelenergiemarkt
Auch sollte die aktuelle Diskussion nicht den Blick auf die substantiellen Erfolge der letzten Jahre verstellen. Der diskriminierungsfreie und sehr funktionsfähige Regelleistungsmarkt hat nicht nur erfolgreich zur Versorgungssicherheit beigetragen. Er hat dies auch zu immer niedrigeren Kosten für die Endverbraucher getan. Allein in der Sekundärreserve hat die Zunahme an präqualifizierten regelleistungsfähigen Technischen Einheiten zu einem erhöhten Wettbewerb geführt, der die Kosten für die Vorhaltung in Höhe von 371,9 Mio. Euro in 2011 auf 90,5 Mio. Euro in 2016 reduziert hat. Die Kosten für die Vorhaltung der Minutenreserve sind im selben Zeitraum ebenfalls gedrittelt worden, die Kosten für die Primärregelleistung stabil geblieben. Die Arbeitskosten - ablesbar an den Ausgleichsenergiepreisen, die verursachergerecht auf unsauber geführte Bilanzkreise umgelegt werden - sind ebenfalls im langen Trend seit 2009 rückläufig, wie der aktuelle Monitoringbericht der BNetzA bestätigt. Es ist also Vorsicht geboten, möchte man das wilde Handeln einzelner Marktakteure nicht auf Kosten der erwiesenen Funktionsfähigkeit eines Marktes sanktionieren.
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