Um das Folgende besser zu verstehen, hilft es nun, sich eine Waage vorzustellen. Nehmen wir an, ein Kraftwerk meldet für den Folgetag für die Viertelstunde von 14.00 Uhr bis 14.15 Uhr eine Einspeisung in Höhe von 50 MWh beim Übertragungsnetzbetreiber an – und hat diese Strommenge auch bereits an einen Abnehmer, z.B. über die Strombörse, verkauft. In diesem Moment ist unsere imaginäre Waage exakt ausgeglichen, da die Waagschalen für prognostizierte (verkaufte) und abgenommene (gekaufte) Strommenge exakt gleich "gefüllt" sind. Am nächsten Tag liefert das Kraftwerk in der betreffenden Viertelstunde (auch "Lieferviertelstunde" genannt) nicht die prognostizierten 50 MWh, sondern 49,5 MWh. Der Abnehmer hat hingegen tatsächlich die am Vortag angemeldeten (und gekauften) 50 MWh aus dem Stromnetz abgerufen. Die Waagschale des Stromproduzenten wird nun mit der tatsächlich eingespeisten Strommenge von 49,5 MWh "gefüllt" und die Waagschale des Stromabnehmers mit der abgenommenen Strommenge von 50 MWh. Die Waage befindet sich in diesem Moment also nicht mehr im vollkommenen Gleichgewicht, da eine Abweichung von 0,5 MWh vorliegt.
Um diese 0,5 MWh auszugleichen und die Waage ins vollkommene Gleichgewicht zu bringen, greift der Übertragungsnetzbetreiber in unserem stark vereinfachten Beispiel nun auf Regelenergie zurück. So wird gewährleistet, dass das Stromnetz stabil bleibt. Rein bilanziell jedoch steht die Waage noch immer nicht im Gleichgewicht, da die fehlenden 0,5 MWh in unserem Beispiel ja von einem anderen Akteur - eben dem Regelenergielieferanten - eingespeist wurden als am Vortag angekündigt.
Die Berechnung von Ausgleichsenergie erfolgt energiewirtschaftlich gesprochen innerhalb von Bilanzkreisen. Dabei muss nicht jeder Produzent oder Abnehmer von Strom innerhalb eines eigenen Bilanzkreises geführt werden, denn besonders Betreiber von kleineren Einheiten schließen sich oft in einem Bilanzkreis zusammen und benennen den Bilanzkreisverantwortlichen, der schlussendlich für die angefallene Ausgleichsenergiemenge haftet.
Verschiedene Bilanzkreise innerhalb einer der vier deutschen Regelzonen können das Stromnetz gemeinsam stützen – diese wichtige Besonderheit haben wir in unserem obigen, stark vereinfachten Beispiel vorerst außer Acht gelassen. Wenn beispielsweise Bilanzkreis A in einer Lieferviertelstunde eine Überspeisung verursacht, kann diese durch eine Unterspeisung von Bilanzkreis B aufgefangen werden, ohne dass tatsächlich Regelenergie benötigt wird. Diese muss erst einspringen, wenn der Saldo aller Bilanzkreise innerhalb einer Regelzone ("Regelzonensaldo") nicht ausgeglichen ist und das Stromnetz daher physisch eine kurzfristige Einspeisung von schnell verfügbarer Regelenergie benötigt, um stabil zu bleiben.
In diesem Fall stellt der Übertragungsnetzbetreiber dem Kraftwerk, das seine angekündigte Einspeisung nicht erreicht hat, die fehlenden 0,5 MWh als Ausgleichsenergie (von den Übertragungsnetzbetreibern auch "Profilservice" genannt") in Rechnung. Kurzum: Während die Regelenergie das tatsächliche physische Gleichgewicht des Stromnetzes gewährleistet, sorgt die Ausgleichsenergie für das bilanzielle Gleichgewicht der "Waage" (oder betriebswirtschaftlich gesprochen des T-Kontos, energiewirtschaftlich gesprochen des Bilanzkreises) im Geschäft zwischen Stromproduzenten, Stromabnehmern und Übertragungsnetzbetreibern. Noch einfacher gesagt: Während die Regelenergie den Stromfluss regelt, regelt die Ausgleichsenergie den Geldfluss.
Die Zahlung von Ausgleichsenergie wird nicht nur bei einer Unterproduktion (auch: Unterspeisung) wie im obigen Beispiel fällig, sondern auch bei einer Überproduktion (auch: Überspeisung). Die zuwenig bzw. zuviel eingespeisten Strommengen werden auch "Mindermengen" bzw. "Mehrmengen" genannt. Zusätzlich zu den Stromproduzenten sind auch wie erwähnt die großen Stromabnehmer dafür verantwortlich, exakt die Strommenge aus dem Netz zu entnehmen wie am Vortag angekündigt. Auch für sie wird bei einer Minder- bzw. Überentnahme (also eine Überspeisung bzw. eine Unterspeisung auf Abnehmerseite) die Zahlung von Ausgleichsenergie fällig. Rein theoretisch sind daher auch Stromendkunden zur Prognose ihrer Abnahme und somit zur Zahlung von Ausgleichsenergie verpflichtet, allerdings nimmt der Energieversorger den Stromendkunden diese Pflicht glücklicherweise vertraglich ab.
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In dem so gut wie niemals eintretenden Fall, dass alle Bilanzkreise trotz Prognoseabweichungen verschiedener Bilanzkreise einen exakt ausgeglichenen Regelzonensaldo verursachen, wenn also jede Untereinspeisung eines Produzenten von einer Unterspeisung eines Abnehmers exakt ausgeglichen wird, wird keine Regelenergie und somit keine Ausgleichsenergie fällig. Daher ist die Ausgleichsenergie auch nicht als eine Art Strafe der Übertragungsnetzbetreiber für abweichende Prognosen zu verstehen, sondern vielmehr als Preis der tatsächlich angefallenen Regelenergie. Der Ausgleichsenergiepreis – "reBAP" ("regelzonenübergreifender einheitlicher Ausgleichsenergiepreis") genannt – ist daher auch nichts anderes als die Umlage der für Regelenergie angefallenen Arbeitskosten auf die Verursacher der Regelenergie. Dabei können interessanterweise Fehlprognosen von Stromproduzenten oder -abnehmern nicht nur zu reBAP-Kosten führen, sondern auch zu reBAP-Einnahmen.
Wieder ein stark vereinfachtes Rechenbeispiel: Wenn 10 Stromabnehmer in einer Lieferviertelstunde je 1 MWh mehr aus dem Netz entnehmen als am Vortag angekündigt, gleichzeitig aber 4 Stromproduzenten je 1 MWh mehr einspeisen als am Vortag prognostiziert, ist nur eine Differenz von 6 MWh entstanden, die nun durch Anforderung von Regelenergie physisch im Netz ausgeglichen wird. Jedoch wird allen 10 Stromabnehmern in unserem Beispiel je 1 MWh an reBAP in Rechnung gestellt, wovon die vier Stromproduzenten mit Überspeisung – also mit einer fehlerhaften Prognose, die aber zufällig das Stromnetz gestützt hat – je ein MWh an reBAP erhalten und die restlichen 6 MWh an reBAP dem Lieferanten der Regelenergie ausgezahlt werden.