Negative Strompreise können seit 2008 an den kurzfristigen Strombörsen (Day-Ahead und Intraday-Markt) entstehen. Sie treten auf, wenn die Stromerzeugung den Stromverbrauch überschreitet. Wer bei negativen Marktpreisen Strom einspeist, erhält keine Erlöse, sondern muss für seinen eingespeisten Strom bezahlen. Negative Strompreise kommen meistens bei einer hohen Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne und/oder einem geringen Stromverbrauch auf. Dieser kann sowohl durch lange Feiertage als auch durch nationale oder internationale Gefährdungslagen, wie beispielsweise die COVID-19 Pandemie, auftreten.
Strom ist eine Handelsware, die sich nur schwer speichern lässt. Zwar gibt es Speicherkapazitäten im Stromsystem, diese sind bisher aber bei weitem nicht ausreichend, um die Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage komplett abzufangen. Verbrauch und Erzeugung müssen daher im Stromnetz stets im Gleichgewicht gehalten werden. Negative Strompreise entstehen dann, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt und das zusätzliche Angebot nicht exportiert werden kann. Wer bei Negativpreisen Strom an der Strombörse kauft, wird dafür bezahlt, anstatt bezahlen zu müssen.
Das Entstehen von negativen Preisen am Strommarkt folgt dem marktwirtschaftlichem Grundsatz von Angebot und Nachfrage. Auch auf anderen Rohstoffmärkten, wie beispielsweise auf dem Ölmarkt Anfang 2020, können sie auftreten. Grundsätzlich sind negative Preise Teil eines normalen Marktgeschehens, haben aber für manche Marktbeteiligte mitunter ernste Konsequenzen. In einer nüchternen Betrachtung des Strommarktes erzeugt das häufigere Auftreten von negativen Strompreisen vor allem einen erhöhten Bedarf an Flexibilität, Speicherkapazitäten, Stromexporten und Lastmanagement – Ansätze, die durchaus zukunftsweisend für das Stromnetz sind.
Eigentlich ist es eine klare Sache: Bei zu viel Strom im Netz sollte die Einspeisung gedrosselt werden. Doch manche Marktteilnehmer sind aus technischen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage, nur aufgrund negativer Preise bei der Erzeugung eine Vollbremsung einzuleiten. So dürfen Stromerzeuger, die am Regelenergiemarkt teilnehmen, nur so weit heruntergefahren werden, wie dies mit der Bereitstellung ihrer Regelleistung zu vereinbaren ist. Bei konventionellen Kraftwerken gibt es zudem die konventionelle Mindesterzeugung, die den Systemdienstleistungen zugerechnet wird und daher nicht heruntergeregelt werden kann. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht regelmäßig aktuelle Berichte zur Mindesterzeugung.
Für konventionelle Kraftwerke, insbesondere Braunkohle- und Atomkraftwerke, sind schnelle Lastwechsel zudem aufgrund erhöhtem Verschleiß oder aus konzeptionellen Sicherheitsgründen nicht ohne weiteres möglich. Insbesondere Atomkraftwerke unterliegen aus guten Gründen einer Vielzahl an Restriktionen und Auflagen, die eine flexible Fahrweise verhindern. Für sie ist es daher meist einfacher, die Stunden mit negativen Strompreisen in Kauf zu nehmen, als ihre Produktion flexibel anzupassen. Das Entstehen negativer Strompreise ist daher auch nicht allein den Erneuerbaren Energien anzulasten.
Kraftwerke, deren Strom unabhängig von der Strombörse vermarktet wird, beispielsweise über Lieferverträge mit Mindestliefermengen, reagieren kaum auf die Preissignale an der Börse. Hierzu zählen beispielsweise Erzeugungsanlagen für den Eigenverbrauch, KWK-Anlagen mit Wärmelieferungsverpflichtungen oder EE-Anlagen, die eine vom Marktpreis unabhängige Einspeisevergütung bekommen. In der Direktvermarktung gleicht zudem die Marktprämie die Schwankungen der Börsenstrompreise aus.
Das EEG 2014 führte allerdings die 6-Stunden-Regelung ein, die mit dem EEG 2021 in eine 4-Stunden-Regel (ab 2023 auf drei Stunden reduziert) verschärft wurde. Danach erhalten bestimmte Anlagen in der Direktvermarktung nach vier bzw. sechs (oder mehr) direkt aufeinanderfolgende Stunden mit negativen Preisen keine Marktprämie mehr. Dies soll eine Abschaltung im Falle von auftretenden negativen Strompreisen ermöglichen.
Weitere mögliche Gründe für eine Aufrechterhaltung der Einspeiseleistung bei negativen Strompreisen können vermiedene Netzentgelte oder Eigenstromprivilegien sein. Da hier auch bei negativen Preisen an der Strombörse weiterhin Geld verdient wird, lohnt sich eine Einschränkung der Produktion für diese Stromproduzenten nicht.
Typischerweise treten negative Strompreise dann auf, wenn die volatilen Stromerzeuger (Wind und PV) überproportional viel Strom einspeisen, beispielsweise bei hoher Sonneneinstrahlung und gleichzeitig starkem Wind. Sonn- und Feiertage mit niedrigen Stromverbräuchen, in Deutschland sind insbesondere Ostern und Pfingsten auffällig, senken den Stromverbrauch zusätzlich. Am Pfingstwochenende 2018 waren die Preise am Day-Ahead-Markt elf Stunden lang negativ, am Pfingstsamstag 2019 kam es für 19 Stunden zu negativen Strompreisen von durchschnittlich unter - 59 €/MWh. Am Pfingstwochenende 2020 war der Strompreis acht Stunden lang negativ.
Auch nationale und internationale Krisenlagen, allen voran die Corona-Pandemie mit einem stark reduzierten Stromverbrauch durch die behördlichen Schutzmaßnahmen, verursachten negative Preise an den Strombörsen, erstmals auch an Werktagen. Der Kausalzusammenhang zwischen Pandemie und negativen Strompreisen ist allerdings nicht so trivial wie es auf den ersten Blick erscheint – mehr dazu in unserem Blogbeitrag Negative Strompreise: Fieberkurve oder Normalbetrieb?.
Negative Strompreise sind seit September 2008 am Spotmarkt der EEX zugelassen – durchaus auf Wunsch vieler Marktteilnehmer, insbesondere aus dem Umfeld der Erneuerbaren Energien. Diese erhofften sich, dass konventionelle Kraftwerke ihre Produktion besser an die Einspeisung von Wind und Photovoltaik anpassen und sich flexibilisieren würden. Zuvor lag der niedrigste Gebotspreis an der Börse bei 0 Euro/MWh – rein ökonomisch und auch ökologisch war die Zulassung von Negativpreisen daher eine nachvollziehbare Entscheidung.
Die Anzahl der Stunden mit negativen Strompreisen in Deutschland sind seit ihrer Einführung 2008 angestiegen. Eine mögliche Erklärung läge in der starken Zunahme volatiler Erzeuger im Stromnetz – so einfach ist die Sache aber auch wieder nicht.
Denn die Entstehung negativer Strompreise hängt von zahlreichen weiteren Rahmenbedingungen im Stromsystem ab. Ab etwa Mitte der 2020er gehen Experten, trotz einem steigenden Anteil der Erneuerbaren am deutschen Strommix, sogar von einem Rückgang der negativen Strompreisstunden aus. Mit dem Wegfall der EEG-Förderung für zahlreiche erneuerbare Anlagen müssen diese stärker auf negative Preisimpulse reagieren. Zusätzlich gehen weitere konventionelle Kraftwerke vom Netz, die ebenfalls eine schnelle Anpassung und einen Ausgleich der negativen Preise verhindern. Prognosen erweisen sich allerdings generell als schwierig, da das Auftreten von negativen Strompreisen grundsätzlich nicht mono-, sondern multikausal ist – Ereignisse wie eine Pandemie in 2020 hatte 2019 noch niemand auf dem Zettel.
Negative Strompreise treten nicht nur in Deutschland auf, auch andere Länder und ihre Strombörsen haben negative Preise zugelassen. An der EPEX Spot können negative Preise am Day-Ahead und Intradaymarkt auch in Österreich, Belgien, Niederlande, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz auftreten. An der Nordpool Spot wurden 2009 negative Preise zugelassen, Teilnehmer dieser Strombörse sind Dänemark, Estland, Finnland, Deutschland, Lettland, Litauen, Norwegen, Schweden und Großbritannien. Weitere Handelsplätze, die negative Strompreise zulassen, sind beispielsweise SEMO (Irland und Nordirland), N2EX (Großbritannien) und OTE (Tschechien).
Während negative Preise in Deutschland und Dänemark keine Seltenheit sind, kommen sie in anderen Ländern deutlich seltener vor. Schweden und Finnland erlebten beispielsweise im Februar 2020 zum ersten Mal negative Preise am Spotmarkt.
Auch außerhalb Europas gibt es Strombörsen, an denen die Strompreise regelmäßig negativ sind, beispielsweise die California ISO oder die ASX in Australien.
Gibt es auch Gewinner bei negativen Strompreisen? Immerhin bringen die Stromproduzenten bei negativen Preisen sozusagen Geld mit für die Verbraucher – das sollte sich doch eigentlich auf der Stromrechnung niederschlagen. Leider ist auch dies nicht ganz so einfach: Die Stromtarife für Haushaltskunden sind langfristig angelegt, der Strompreis enthält neben dem Börsenpreis viele weitere Komponenten, deren Kosten bei negativen Strompreisen sogar tendenziell ansteigen. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.
Direkt von niedrigen Strompreisen profitieren Stromgroßverbraucher in Industrie, Gewerbe oder Versorgungsbetrieben, die einen direkten Zugang zu Strombörsenpreisen haben. Wer seine Verbrauchsprozesse im Lastmanagement (Demand Response) flexibel gestaltet hat, kann zusätzlich profitieren.
Die Kosten der negativen Strompreise tragen die Erzeugungsanlagen, die nicht nur keine Deckung ihrer laufenden Kosten haben, sondern für ihre Einspeisung obendrein bezahlen müssen. Wie zuvor angedeutet sind auch Haushaltskunden auf der Verliererseite: Negative Strompreise werden für Erzeugungsanlagen im Marktprämienmodell durch die EEG-Förderung kompensiert, viele negative Stunden steigern daher die EEG-Umlage. Damit dies nicht ausufert, greift die bereits beschriebene 6 bzw. 4-Stunden-Regel bei übermäßig langen Negativpreiszeiträumen ein.
Negative Strompreise sind Ausdruck des normalen Marktgeschehens auf einem modernen Strommarkt. Für eine Bewertung der ökonomischen Folgen kommt es, wie immer, auf adäquate Reaktionen der Marktteilnehmer an. Begegnet werden kann einer Zunahme von negativen Strompreisen vor allem mit einer Erhöhung der Flexibilität, sowohl auf der Erzeuger- als auch auf der Verbraucherseite.
Um negative Strompreise in Zukunft einzudämmen, ist eine langfristige Umgestaltung des Stromsystems unvermeidlich und auch bereits im Gange. Zu den Maßnahmen gehören die Sektorenkopplung, die Abschaltungen unflexibler konventioneller Kraftwerke, mehr grenzüberschreitender Stromhandel, mehr Speicherkapazitäten, bessere Prognosen für die Einspeisung von Wind und PV und der Übergang der Erneuerbaren Energien von einem staatlich geförderten in ein marktwirtschaftliches Umfeld. Werden diese Maßnahmen konsequent umgesetzt, sollte sich die Zahl der Stunden mit negativen Strompreisen in Zukunft in erträglichen Grenzen halten.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.