Die Erneuerbaren Energien haben in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts gezeigt, dass sie einen immer größeren Anteil des deutschen Strombedarfs versorgungssicher decken können. Es ist also bereits gelungen, die Stromversorgung zu einem beträchtlichen Teil zu dekarbonisieren. Derzeitiges Hauptproblem der Sektorenkopplung ist, diesen Erfolg auf die energie- und emissionsintensiven Sektoren Verkehr, Wärmeversorgung, Landwirtschaft und Schwerindustrie auszudehnen. Wichtigstes volkswirtschaftliches Ziel aus der Perspektive des Klimaschutzes ist es daher, den Erfolg der Erneuerbaren Energien im Strommarkt durch eine Kopplung aller energieerzeugenden und -verbrauchenden sowie -speichernden Sektoren der Volkswirtschaft zu wiederholen. Diese Sektorenkopplung soll, primär basierend auf erneuerbar erzeugtem Strom, einen Netto-Null-CO2-Ausstoß in Deutschland in naher Zukunft erreichbar machen.
Die Sektorkopplung verabschiedet sich von der Energiewirtschaft als eigenem ökonomischen Betrachtungsfeld und nimmt stattdessen die gesamte Volkswirtschaft als flexibles Wechselspiel von Prozessen der Stromerzeugung, des Stromverbrauchs sowie dessen Speicherung. mit dem Ziel der Klimaneutralität in den Blick. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur erreichen, wenn alle Energie, die in Deutschland benötigt wird, aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wird. Die bisherigen Primärenergieträger Öl, Kohle und Gas müssen daher nicht nur im bisherigen Stromsystem, sondern auch in allen anderen Verbrauchsprozessen – also eben auch im Verkehr, der Wärmeerzeugung, der Landwirtschaft, der Schwerindustrie und anderen Sektoren –abgelöst werden.
Während es im Stromnetz, bei auf Elektrizität basierenden industriellen Prozessen und in der Kälteerzeugung große Fortschritte gibt, sind die Sektoren Verkehr und Wärmeerzeugung noch sehr stark auf die Energieträger Erdöl und Erdgas angewiesen. 2012 wurde der deutsche Stromverbrauch zu 23,4 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt, 2020 waren es bereits 43 Prozent. Power-to-X-Technologien wie Power-to-Gas (PtG) zur Erzeugung von Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien oder Power-to-heat (PtH) zur Erzeugung von Wärme aus Erneuerbaren Energien existieren zwar bereits, befinden sich aber mehrheitlich noch im Versuchsstadium oder sind noch nicht im großen Maßstab aktiv – wenngleich es engagierte Pioniere im PtG-Bereich gibt.
Strom hat gegenüber flüssigen oder gasförmigen Treibstoffen den Nachteil, dass er sich nicht einfach und verlustfrei in einem Gefäß speichern lässt. Energie in Form von Strom muss daher elektrochemisch in Batterien oder in umgewandelter Form, beispielsweise als Wasserstoffgas bei PtG-Prozessen, in Pumpspeichern oder in Drehmomentspeichern gespeichert werden. All diese Speicher- oder Umwandlungsmöglichkeiten gehen immer mit Energieverlusten einher.
Speziell Batterien sind sehr teuer und ökologisch bezüglich Bau und Rohstoffverbrauch keinesfalls unumstritten; Power-to-X-Lösungen müssen am Markt mit nach wie vor sehr günstig zu betreibenden fossilen Energieträgern konkurrieren. Zum Problem gehört in Deutschland allerdings auch, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) derzeit nur geringe bis keine Margen für Power-to-Gas-Anlagen ermöglicht, da für den im Elektrolyseur umgewandelten Strom EEG-Umlage gezahlt werden muss.
Flexibilitätspotentiale bieten sich in der Sektorenkopplung an unterschiedlichen Stellen: So kann ein Fuhrpark aus elektrischen Flurförderfahrzeugen Regelenergie abgeben, Elektrofahrzeugflotten lassen sich flexibel und kostenoptimiert laden, Kühlräume unter Ausnutzung der Trägheit von Wärmeprozessen kostenoptimiert kühlen und vieles mehr. Speziell in den mittelständischen Betrieben verbergen sich eine große Anzahl an Flexibilisierungsmöglichkeiten, die noch auf quer- und ökologisch denkende Ingenieure warten.
Als ein Indikator für das Voranschreiten der Sektorkopplung kann der Anteil von Strom am Gesamtenergieverbrauch Deutschlands angesehen werden. Diesen weist das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in seiner Energiedaten-Gesamtausgabe aus.
Betrachtet man in diesen Reports die bislang erfassten Jahre 2012 bis 2016, ist der Fortschritt der Sektorenkopplung in Deutschland noch eher klein. Eine nennenswerte Vergrößerung des Stromanteils in der Endnutzung von Energie ist nicht zu verzeichnen, bei weitem wichtigster Energieträger ist nach wie vor Mineralöl. Bei der Nutzung von Erneuerbaren Energien (nicht zur Stromerzeugung, sondern beispielsweise zum Heizen mit Biogas oder Biomasse oder zum Antrieb durch Biokraftstoffe) zeigt sich aber immerhin eine Zunahme von 42 Petajoule von 2012 bis 2016, was rund 11.600 GWh entspricht.
Im Verkehrssektor ist die Sektorenkopplung in den unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich stark fortgeschritten. Intensive Forschungsarbeit ist insbesondere noch im Flug- und Schiffsverkehr sowie im Schwerlastverkehr nötig. Hier muss die Energie, nach den derzeitigen Konzepten, zwingend im Fahrzeug gespeichert und transportiert werden, um die Individualmobilität zu erhalten. Leitungsgebundene Verkehrsmittel wie die Bahn sind momentan nicht in der Lage, insbesondere in dünn besiedelten Regionen ausreichende Mobilität zu ermöglichen. Dies ist hauptsächlich in der Stilllegung vieler Nebenstrecken im Bahnschienennetz in den 1990er Jahren begründet, deren Wiederinstandsetzung oder Neubau massive Neuinvestitionen erfordern würde.
Um den Strom im Sinne der Sektorenkopplung auf die Straße zu bekommen, setzen viele Fahrzeughersteller daher auf Batteriekonzepte und engagieren sich in globalen Forschungsprojekten zur Vergrößerung der Batteriekapazitäten und Reichweiten bei gleichzeitiger Kostensenkung. Mit den unzähligen Akkumulatoren, die über Stunden hinweg am Stromnetz geladen werden müssen, erschließt sich auch ein wachsendes Flexibilitätspotential, etwa unter dem Stichwort Vehicle-to-Grid (V2G) bekannt. Beispielsweise bei Flaute und dicker Wolkendecke könnten die Fahrzeugbatterien kleinere Ungleichgewichte im Stromnetz aufgrund der fehlenden Einspeisung aus Wind und Photovoltaik durch die Lieferung positiver Regelenergie ausgleichen.
Neben den Batteriekonzepten ist, aufgrund der vergleichsweise einfacheren und günstigeren Speichermöglichkeiten, auch Wasserstoff wieder verstärkt als Antrieb für Kraftfahrzeuge im Gespräch. Dieser birgt jedoch insbesondere bezüglich der hochvolumigen Gewinnung durch Erneuerbaren Energien noch Kapazitätsprobleme. Auch die Antriebstechniken auf Wasserstoffbasis (umgerüstete Hubkolben- oder Wankelmotoren, Turbinen oder Brennstoffzellen) sind bezüglich des Wirkungsgrads noch stark ausbaufähig. Speziell in Japan setzen jedoch große Automobilbauer verstärkt auf Wasserstoffantriebe. In Deutschland konzentrieren sich vorwiegend Nutzfahrzeugbauer auf Wasserstoff als Antriebskonzept: Hier könnte entlang der Autobahnen während der vorgeschriebenen Standzeiten Wasserstoff aus PtG-Anlagen getankt werden. Im Logistiksektor setzen sich, auch durch Fahrzeugeigenentwicklungen der Logistikunternehmen, für die Zustellung im Nahbereich bereits Elektrolösungen durch, auch Kommunen setzen auf Elektrobusse und Taxis mit E-Antrieb.
Wie werden jedoch Containerschiffe, Interkontinentalflugzeuge und schwere Lastwagen mittels Strom aus Erneuerbaren Energien angetrieben werden können? Zumindest für die Luftfahrt stellen Batterien keine wirkliche Alternative dar, wie dieses Beispiel eines Luftfahrt-Branchenportals erläutert: Würde ein Airbus A320 Neo mit geladenen Lithium-Ionen-Akkus im Gesamtgewicht seiner vollen Kerosintanks ausgerüstet, könnte er sich nur ca. 20 Minuten in der Luft halten – ein Start wäre aufgrund der fehlenden Leistung ohnehin nicht möglich. Für die volle Flugzeit von bislang rund sieben Stunden müssten 260 Tonnen Li-Ion-Akkus mitgeführt werden – rund dreieinhalbmal so viel wie das maximale Startgewicht des Airbus von 70 Tonnen, das Flugzeug selbst nicht eingerechnet.
Fazit für die Verkehrswende Der Prozess des Umdenkens, der in der Stromerzeugung rund 30 Jahre Vorsprung hat, steckt im Verkehrssektor immer noch im Anfangsstadium. Erste Anfänge sind gemacht, für die großen Herausforderungen müssen noch entsprechende Lösungen gefunden werden.
Die Wärmeerzeugung hat hinsichtlich der Sektorenkopplung gegenüber dem Verkehr einen entscheidenden Vorteil: Sie erfolgt zum allergrößten Teil stationär in Gebäuden und ist nicht auf einen transportablen Energievorrat angewiesen. Hier haben sich bereits viele verschiedene Technologien etabliert, vor allem rund um die Kraft-Wärme-Kopplung: Wann immer eine Maschine Strom oder Bewegungsenergie erzeugt, fällt Abwärme durch Verbrennung, Reibung, chemische Reaktionen etc. an. Diese Wärme sinnvoll zu nutzen ist Grundlage des Prinzips und Erfolgs von Blockheizkraftwerken (BHKWs), die bei einem Betrieb mit erneuerbar erzeugtem Wasserstoff, Biomethan oder Holzpellets strategisches Kernstück von Sektorkopplungskonzepten sind.
Die Nutzung natürlicher Wärme in Form von Luftwärmepumpen oder Erdwärmepumpen ist in vielen Neubauten mittlerweile Standard, entsprechende Nachrüstungen in älteren Gebäuden können die Energiebilanz der Gebäudeheizung erheblich verbessern. Die seit langem bekannte und praktizierte Nutzung von Fernwärme aus industriellen Prozessen oder aus Rechenzentren ist ein im Sinne der Sektorkopplung lohnendes Konzept, sofern die Transportverluste in einem sinnvollen Rahmen gehalten werden können. Die Elektroheizung, in Form der alten Nachtspeicheröfen als Kosten- und Energiefresser verschrien, steht ebenfalls vor einem Comeback: Moderne Infrarotflächenheizungen machen zu vertretbaren Kosten aus Ökostrom Ökowärme.
Speziell in landwirtschaftlich geprägten Regionen, beispielsweise in Dörfern oder Hofschaften, kommen Nahwärmenetze auf Basis größerer Biogasanlagen zum Einsatz. Die hier erzeugte Wärme ist klimaneutral, der Transport aufgrund der kurzen Wege verlustarm. Viele Ölheizungen und Flüssiggasanlagen, Erdgasnetze sind auf dem Land deutlich weniger präsent, können so im Sinne der Wärmewendeklimafreundlich abgelöst werden.
Fazit für die Sektorenkopplung in der Wärmeerzeugung: Anders als im Verkehrssektor stehen hier diverse und bereits erprobte Technologien zur Verfügung, um die Wärmeerzeugung auf nicht-fossile Methoden umzustellen. Die Herausforderung bei der Wärmewende liegen nun in der flächendeckenden Durchsetzung dieser neuen Technologien.
Das vordringliche Problem im Wärmesektor ist allerdings nicht die Erzeugung, sondern vor allem die Speicherung und Wärmedämmung. Zwar gab es in der Vergangenheit mehrere Förderungswellen für energetische Sanierungen, dennoch entfallen nach wie vor 36 Prozent der CO2-Emissionen auf Haushalte. Auch waren die durchgeführten Dämmungsmaßnahmen von sehr unterschiedlicher Qualität.
Massive Investitionen sind also nicht nur in der Wärmeerzeugung, sondern auch in der Entwicklung hochwertiger und vor allem nachhaltiger Wärmeisolierungssysteme wichtig. In perfekt gedämmten Wohnungen ließen sich dann auch Power-to-Heat-Konzepte realisieren. Angebunden an ein Virtuelles Kraftwerk könnten beispielsweise elektrische Infrarotheizungen dem Raum genau dann Heizenergie zuführen, wenn Strom am Markt reichlich und somit kostengünstig verfügbar ist.
Durch den Einsatz neuer Technologien im Haushalt setzten sich in den vergangenen Jahren deutlich stromsparendere Alternativen durch, allen voran die LED-Beleuchtung im Vergleich zur Glühbirne herkömmlicher Bauart. Im Verkehr wurden viele Kleinkrafträder und Motorroller durch E-Bikes ersetzt. Diese ersetzen auch, gutes Wetter vorausgesetzt, einen stetig wachsenden Anteil des PKW-Verkehrs bei Strecken unterhalb 10 bis 20 Kilometern. Im Bereich der IT werden Systeme seit Jahren auf größere Effizienz getrimmt; Laptops verbrauchen beispielsweise deutlich weniger Strom (rund 60 Watt) als Desktopsysteme (rund 130 Watt, Stand 2020). Die Verlagerung der Internetnutzung in den mobilen Bereich spielt hier auch eine Rolle. Im Bereich der Unterhaltungselektronik hat sich nahezu vollständig LED-Technik bei Fernsehern und Beamern durchgesetzt – Röhren- oder Plasmabildschirme mit hohem Stromverbrauch wurden nahezu vollständig abgelöst.
All diese Technologien sollten eigentlich zu einer Senkung des Haushaltsstromverbrauchs beitragen, dieser ist allerdings seit Jahren mehr oder weniger konstant. Ein Grund dafür liegt in der unserem Gesellschaftssystem zugrundeliegenden Logik des Wachstumszwangs: Statt einem, stromfressenden Verbraucher werden immer mehr kleine, für sich durchaus sparsame Verbraucher angeschafft – zehn LED-Leuchtmittel á 7 Watt verbrauchen auch 70 Watt pro Stunde und jeder Second-, Third- und Fourth-Screen muss aufgeladen oder am Netzteil betrieben werden. In Unternehmen jedoch, wo Beleuchtungssysteme mit deutlich spitzerem Bleistift kalkuliert werden, können durch eine LED-Umrüstung von Halogen oder Leuchtstoffröhren deutlich größere Einsparpotentiale erzielt werden.
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Nachdem die deutsche Volkswirtschaft die Energiewende in der Stromerzeugung erfolgreich angepackt hat, müssen viele weitere Energiewenden in anderen Sektoren folgen – entsprechend erfreuen sich Begriffe wie „Verkehrswende“ und „Wärmewende“ einer immer größeren Beliebtheit. Die Voraussetzungen dafür sind mal mehr (wie in der Wärmeerzeugung und der Industrie) und mal weniger (wie im Verkehr) günstig. Mit einer Ausrichtung aller Energieverbraucher auf Strom aus Erneuerbaren Energien kommen auf das Stromnetz enorme Anforderungen zu, denen es allerdings mit intelligent eingesetzter Flexibilisierung und Vernetzung von Stromerzeugern, Verbrauchern und Speichern wirksam entgegentreten kann.
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