Der Begriff „Kapazitätsmarkt“ wird seit mehreren Jahren mit einer derartigen Selbstverständlichkeit in Grundsatzdebatten des deutschen Strommarktdesigns verwendet, dass der Eindruck entsteht, ein Kapazitätsmarkt sei mit einer festen Definition verbunden oder existiere gar. Es besteht jedoch – um dies vorneweg klarzustellen – bis heute keine eindeutige Definition des Begriffs „Kapazitätsmarkt“ und auch kein Kapazitätsmarkt als solcher in Deutschland.
Alle Konzepte eines Kapazitätsmarkt eint der kleinste gemeinsame Nenner, dass auf einem derartigen Teilbereich des Strommarkts nicht nur die erbrachte Arbeit – der produzierte Strom – vergütet werden soll, sondern eben auch die Vorhaltung von gesicherten Kraftwerkskapazitäten, unabhängig davon, ob diese für die Stromproduktion genutzt werden oder nicht. Der Begriff Kapazitätsmarkt steht daher im Gegensatz zum Begriff des Energy-Only-Markts. Während bei diesem die Investitions- und Betriebskosten allein aus dem Verkauf des produzierten Stroms hereingespielt werden müssen, erlaubt jener die Refinanzierung der Investitionskosten („Capex“, zum Beispiel für den Bau der Kraftwerke) über einen Kapazitätsmarkt und die Refinanzierung der Betriebskosten („Opex“) über den Stromverkauf. Aus diesem Grund ist die Schaffung eines Kapazitätsmarkts ein durchaus beliebtes politisches Werkzeug, um auch in liberalisierten Strommärkten einen Anreiz zum Bau neuer Kraftwerkskapazitäten zu setzen (siehe auch „Missing-Money-Problem“)
Mit der Veröffentlichung des Weißbuchs "Ein Strommarkt für die Energiewende" des Bundeswirtschaftsministeriums ging eine deutliche Absage zur diskutierten Schaffung eines Kapazitätsmarkts einher (z.B. "Kapazitätsmärkte sind anfällig für Regulierungsfehler und erschweren die Transformation des Energiesystems", S. 4). Auch im Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz), das zum 30. Juli 2016 in Kraft getreten ist, war die Einführung eines Kapazitätsmarkts nicht vorgesehen. Erst zu Beginn der 2020er Jahre nahm die Diskussion um die Schaffung eines Kapazitätsmarkts erneut an Fahrt auf. Im Februar 2024 schließlich veröffentlichte die deutsche Bundesregierung mit ihrer Kraftwerksstrategie einen Plan zum Ausbau von gesicherten Kraftwerkskapazitäten, der auch die Erarbeitung von „Konzepten für einen marktlichen, technologieneutralen Kapazitätsmechanismus“ beinhaltete. Bis zum Sommer 2024 sollen diese Konzepte ausgearbeitet sein, ab 2028 soll es in Deutschland nach aktuellen Planungen einen Kapazitätsmarkt oder Kapazitätsmechanismus geben.
In der Vergangenheit bestand eine Gemeinsamkeit bei allen Auslegungen des Begriffs "Kapazitätsmarkt": Die Diskussion stand generell im Zusammenhang mit der Diskussion um die Versorgungssicherheit von Strom. Mit einem zu schaffenden Kapazitätsmarkt sollte im Idealfall die Gefahr eines Blackouts (Totalausfall) des Stromnetzes reduziert bzw. komplett vermieden werden. Der Auslöser der Diskussionen um einen Kapazitätsmarkt war und ist der stetig ansteigende Anteil fluktuierender Erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger mittelfristiger Abnahme von gesicherter konventioneller Erzeugung, etwa aus Atom- oder Kohlekraftwerken. Stellt man sich vor, dass an einem kalten, verhangenen Wintertag der deutsche Stromverbrauch hoch und die Solar- und Windstromeinspeisung gering ist, benötigt man gesicherte Kapazitätsmechanismen, um den Stromverbrauch beispielsweise während einer Dunkelflaute zu befriedigen. Diese gesicherten Kapazitäten müssen mit relativ kurzem Vorlauf zuschaltbar sein, etwa aus stillstehenden modernen Gaskraftwerken oder auch Biogasanlagen, um die Volatilität von fluktuierenden Erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Windkraft zu kontern.
Ein Kapazitätsmarkt könnte die Vorhaltung dieser Stromerzeugungskapazitäten ausschreiben und in freiem Wettbewerb bepreisen. Nun herrscht jedoch bei vielen weiteren Fragen keine Einigkeit. Über welche Kapazitätsmechanismen sollte ein Kapazitätsmarkt verfügen, um möglichst zuverlässig und kostengünstig zuschaltbare Kapazitäten zu sichern? Sollen auch flexible Stromverbraucher an diesem potentiellen Markt teilnehmen können? Widerspräche ein Kapazitätsmarkt nicht dem in Europa favorisierten Konzept des Energy-Only-Markts auf diametrale Art und Weise? Und nicht zuletzt: Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt überhaupt? Wurde diese Frage viele Jahre lang mit einem eindeutigen Nein beantwortet, da das deutsche Stromsystem gewaltige Überkapazitäten von bis zu 60 Gigawatt aufwies und darüber hinaus Netto-Exporteur von Strom ins europäische Ausland war, so haben der erfolgte Ausstieg aus der Atomkraft sowie der anstehende Ausstieg aus der Kohleverstromung die Antwort auf diese Frage verkompliziert. Auch der rasche Anstieg von fluktuierenden Erneuerbaren Energien wie Solar und Wind auf über 50% der Stromerzeugung ließ die Diskussionen um den Bedarf an gesicherten Kraftwerkskapazitäten wieder aufleben.
Was in der Diskussion oft übersehen wird, ist die Vielfalt an Instrumenten, die bereits heute zur Verfügung stehen, um kurz- bis mittelfristige Flexibilitätsoptionen zu beschaffen bzw. zu vermarkten. In diesem Sinne besteht bereits heute ein Kapazitätsmarkt – wenn der Begriff als Kollektivsingular verstanden wird. Doch welche bestehenden Mechanismen bzw. Märkte genau stehen heute zur Verfügung, um kurzfristige Kapazitäten zu heben?
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