In diesem Blogbeitrag untersuchen wir die Zusammenarbeit der ÜNB im Netzregelverbund und schauen wie weit die Koordination ihrer Aktivitäten bereits fortgeschritten ist.
Im vorangegangenen Blogbeitrag der Serie sind wir zu dem Schluss gekommen, dass aus technischer Sicht die Anzahl der Regelzonen irrelevant ist, solange diese über (genügend) Kuppelstellen miteinander verbunden sind: Der Strom macht eben nicht an der Grenze halt. Mehrere Regelzonen, die je von einem ÜNB verwaltet werden, bieten aber einen entscheidenden Vorteil: Beim Ausfall eines Netzabschnitts können die ÜNB ihre Regelzonen entkoppeln und voneinander unabhängig steuern. Ein Gesamtkollaps kann damit verhindert werden - die Netzsicherheit wäre also höher als bei einem einzigen Netz mit nur einem Betreiber.
Das wollten wir uns genauer anschauen und haben uns für Game of Zones III die Frage gestellt: Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit der ÜNB?
Seit 2008 besteht über die einzelnen Regelzonen hinaus ein Verbundnetz der deutschen Übertragungsnetze, der Netzregelverbund, dem nach und nach alle vier deutschen ÜNB beigetreten sind. Das bedeutet, dass die Leistungsfrequenzregler aller Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) miteinander verbunden sind und regelzonenübergreifend von Amprion koordiniert werden. Stromflüsse innerhalb der Regelzonen werden aber weiterhin vom für sie zuständigen ÜNB verwaltet.
Außerdem kann der Stromaustausch über die Grenzen der Regelzonen je nach Bedarf beschränkt und im Notfall sogar ausgesetzt werden, wenn die Netzstabilität gefährdet ist. Die Regelzonen können dann weiterhin quasi als Inselnetze gesteuert werden. Dieser „Plan B“ bietet mehr Netzsicherheit und eröffnet sich nur dadurch, dass es in Deutschland vier ÜNB mit eigenen Zuständigkeiten gibt. Ein wichtiges pro-Argument für vier ÜNB anstatt einem.
Solange keine Notfälle eintreten, ist es jedoch ressourcenschonender und kostengünstiger, wenn die ÜNB eben nicht unabhängig agieren, sondern ihre Arbeit möglichst gut miteinander koordinieren. Aus diesem Grund wurde der Netzregelverbund ins Leben gerufen. Ihm liegen vier Prinzipien zugrunde, die gemeinsam dafür sorgen sollen, dass das gesamte Stromnetz technisch und wirtschaftlich möglichst effizient stabil gehalten wird. Die Prinzipien sind die folgenden:
Dieses Modul soll im Wesentlichen verhindern, dass zur gleichen Zeit in einer Regelzone beispielsweise positive und in einer anderen Regelzone negative Regelenergie abgerufen wird. Stattdessen soll der überschüssige Strom aus einer Regelzone in der anderen Regelzone abgenommen werden, sodass insgesamt weniger Regelenergie nötig ist. Das spart Aufwand und Zeit.
Ziel von Modul 2 ist die Reduktion der vorzuhaltenden Leistung für die Regelenergie. Konkret bedeutet dies, dass die ÜNB nicht einzeln festlegen, wie viel Regelleistung sie in ihrer Regelzone brauchen. Stattdessen wird regelzonenübergreifend eine optimale Menge bestimmt und von allen gemeinsam vorgehalten. Die Idee dahinter: Wenn die ÜNB sich gegenseitig nach Bedarf mit Strom aushelfen, entsteht eine zusätzliche Sicherheitsebene, sodass jeder einzelne weniger Regelleistung als Reserve vorhalten muss.
In Modul 3 können einzelne Anbieter in allen Regelzonen ihre Regelenergie anbieten, auch wenn sie nur bei einem einzigen ÜNB präqualifiziert sind und somit eine fernwirktechnische Verbindung zu ihm haben. Die Idee dahinter ist es, die Hürden zur Bereitstellung von Regelenergie zu reduzieren: Da die Präqualifikation nur bei einem ÜNB nötig ist, fällt der Verwaltungsaufwand hinter der Regelenergie nur einmal an, nicht viermal. So können mehr Anbieter am Regelenergiemarkt teilnehmen, weil die Kosten für den Markteintritt sinken. Da gemäß den Modulen 1 und 2 der Strom regelmäßig über die Regelzonengrenzen hinaus ausgetauscht wird, ist die Umsetzung von Modul 3 außerdem näher an der physikalischen Realität des Strommarkts.
Die Umsetzung von Modul 4 würde bedeuten, dass regelzonenübergreifend zunächst die günstigsten Anbieter von Regelenergie bezuschlagt werden und dann die teureren. Es gäbe also über ganz Deutschland eine einheitliche Merit-Order, nach der Regelleistung bereitgestellt wird, nicht eine Merit-Order pro Regelzone. In der Theorie würde das zur kostengünstigsten Verteilung von Regelleistung über das ganze Land führen.
Momentan sind die Module 1 und 2 des Netzregelverbunds bereits umgesetzt. Das bedeutet, dass Amprion durch seine regelzonenübergreifende Koordination versucht, gegenläufige Regelleistungsabrufe zu vermeiden (Modul 1). Natürlich kommt es trotzdem vor, dass positive und negative Regelenergie gleichzeitig abgerufen werden. Dies kann zum Beispiel passieren, wenn Kraftwerke nicht stufenlos regelbar sind und daher nur bestimmte Leistungsstufen bereitstellen können. Wenn etwa ein bezuschlagtes Kohlekraftwerk nur einen pauschalen Wert von 100 MW positiver Regelenergie bereitstellen kann, aber nur 80 MW tatsächlich benötigt werden, dann müssen die 20 MW Differenz gleichzeitig durch negative Regelleistung ausgeglichen werden.[1] Außerdem wird die vorzuhaltende Regelenergie bereits heute regelzonenübergreifend kalkuliert (Modul 2) und die Kosten der Regelenergie, also die Ausgleichsenergie, werden mit dem regelzonenübergreifenden einheitlichen Bilanzausgleichsenergiepreis (reBAP) getragen. Stromhändler müssen also für ihre Bilanzkreisabweichungen in allen Regelzonen den gleichen Preis zahlen.
Die Umsetzung der Module 1 und 2 bedeutet, dass heute bereits überschüssiger Strom aus einer Regelzone über die Kuppelstellen in Gegenden geleitet wird, in denen gerade Strom fehlt. Innerhalb des Verbundnetzes werden die Einspeisungen und Entnahmen regelzonenübergreifend saldiert. Im Idealfall werden nur die darüber hinausgehenden Abweichungen durch positive oder negative Regelenergie ausgeglichen – auch wenn klar ist, dass eine komplette Vermeidung gegenläufiger Abrufe wohl nicht möglich ist. So ist die Netzstabilisierung effizienter organisiert und die ÜNB können geringere Mengen an Regelenergie vorhalten, da die Regelzonen sich in einem ersten Schritt zunächst gegenseitig aushelfen. Allerdings wird Regelenergie bisher noch einzeln in den vier Regelzonen abgerufen und Anbieter von Regelleistung müssen bei allen vier ÜNBs präqualifiziert sein, um in allen Zonen Regelenergie anbieten zu dürfen (Modul 3). Auch Modul 4 ist bisher noch nicht umgesetzt, denn noch gibt es eine Merit-Order pro Regelzone.
Wenn wir uns die Realität des Stromnetzes anschauen, stellen wir schnell fest, dass es heutzutage längst keine feste Trennung zwischen den Regelzonen gibt. Es besteht bereits ein Netzregelverbund, innerhalb dessen Regelenergieabrufe regelzonenübergreifend koordiniert werden und die insgesamt vorzuhaltende Leistung dementsprechend geringer angesetzt wird. Es gibt sicherlich noch Potenziale die Zusammenarbeit der ÜNB technisch und wirtschaftlich effizienter zu gestalten. Zum Beispiel könnten die Zutrittsvoraussetzungen für den Regelenergiemarkt gelockert werden, indem Anbieter nur bei einem ÜNB präqualifiziert sein müssen, um in ganz Deutschland Regelenergie bereitzustellen. Dann könnte es auch eine bundesweite Merit-Order geben, die dafür sorgt, dass die insgesamt günstigsten Anlagen Regelenergie vorhalten dürfen. Wenn diese zusätzlichen Elemente umgesetzt würden, käme der Strommarkt der physikalischen Realität wesentlich näher und es wäre tatsächlich so, als gäbe es nur einen ÜNB. Allerdings hätten wir auch dann immer noch den wertvollen Plan B, kurzfristig auf die alten Regelzonen zurückzufallen, wenn die Netzstabilität gefährdet ist.
Zu den Vor- und Nachteilen des Netzregelverbunds und der Zusammenarbeit der ÜNB sind wir gerade auch mit einem ÜNB in Kontakt. Die Experteneinschätzung posten wir hier in unserem Blog, sobald sie uns vorliegt.
In unserem nächsten Blogbeitrag analysieren wir zum Abschluss der "Game of Zones"-Serie das deutsche Stromnetz im Allgemeinen und geben unsere Einschätzung zu den Fragen: Wie gut ist das deutsche Stromnetz? Und ist es für die Zukunft gewappnet?
[1] Hier können Virtuelle Kraftwerke übrigens einen großen Vorteil ausspielen: Weil in ihnen Tausende Einheiten mit relativ kleinen Leistungsmengen gebündelt sind, sind sie nahezu stufenlos regelbar und können so die Abrufleistung sehr präzise erbringen.
Fotocredit: Julian Povey, Lizenz: CC BY 2.0
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