Zum Jahresbeginn wies der Tagesspiegel auf die Widerspenstigkeit des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums bei der Umsetzung von EU-Vorgaben zur Einführung einer „marktbasierten Beschaffung“ von Redispatch-Kapazitäten hin. Aber wäre „frisch vom Markt“ wirklich alles besser beim Thema Redispatch?
Wir stellen in einem Vergleich die Konzepte des bisherigen, administrativ organisierten Redispatchs einem freien, marktwirtschaftlichen Konzept gegenüber.
Bislang ist es zumindest in Deutschland klar geregelt: Kommt es im deutschen Stromnetz zu Engpässen durch die lokale oder regionale Überlastung einer Stromtrasse im Übertragungsnetz, greifen per Verordnung verpflichtete Stromerzeuger und Speicher schnell ein. Dann wird vor dem verstopften Netzknoten beispielsweise ein Kraftwerk heruntergefahren und hinter dem verstopften Knoten ein anderes hochgefahren. Dieses Verfahren, als Redispatch bekannt, gleicht in der Bundesrepublik beispielsweise Netzengpässe zwischen dem windenergiereichen Norden und dem windenergiearmen Süden wirksam und schnell aus.
Heute sind es vor allem große Stromerzeuger, die zur Teilnahme am Redispatch verpflichtet sind: Diese erhalten für ihre bei der Redispatchlieferung entstandenen Kosten und Verluste eine Kompensationszahlung. Grundsätzlich funktioniert dieses System, doch die steigenden Mengen und auch die hohen sowie intransparenten Kosten der Redispatchmaßnahmen bringen das System immer öfter in die Diskussion. Kerngedanke eines möglichen Systemwechsels sind: Auch kleinere Stromproduzenten, Stromspeicher und auch Stromverbraucher bekommen die Möglichkeit – die sie heute nicht haben - freiwillig am Redispatch teilzunehmen und werden bei Abruf auf Basis ihrer Gebote bezahlt. Da dieses System nicht auf einem kostenbasierten Ansatz beruht, wird es auch als marktbasierter Redispatch bezeichnet. Die Ausgestaltung eines solchen Marktes ist jedoch nicht einfach, da die Lage einer Anlage zum Engpass eine entscheidende Rolle spielt – d.h. eine Anlage, die weit von einem Engpass entfernt liegt und günstiger pro geregelter Leistung ist, kann teurer sein als eine Anlage, die näher am Engpass liegt, aber einen vermeintlich höheren Gebotswert hat. Warum? Die Anlage, die nahe am Engpass liegt, muss weniger geregelt werden und produziert daher in Summe gegebenenfalls geringere Kosten. In den Geboten müsste somit die Lage zu verschiedenen Netzknoten berücksichtigt werden.
Ein marktbasiertes Redispatchsystem könnte so aussehen: Stromproduzenten, Stromspeicher und Stromverbraucher geben entsprechend ihres Flexibilitätspotenzials und der gewünschten Vergütung Gebote in einer Auktion der Netzbetreiber ab, oder stellen ihre Gebote auf einer Plattform ein. Im Falle eines Netzengpasses wählen die Netzbetreiber situationsbezogen und je nach Netzzustand die günstigsten Anbieter zur Behebung der Netzüberlastung aus. Die Flexibilität, welche die Marktakteure ins Stromsystem einbringen können, hätte in einem marktbasierten Redispatchsystem einen quantifizierbaren und marktwirtschaftlich ermittelten Wert. Aufgrund des höheren Angebotes könnten die Gesamtkosten sinken.
Durch die dezentralere Verteilung der Anlagen könnten zudem die Netzengpässe genau dort beseitigt werden, wo sie entstehen. Dies bedeutet aber auch: Der Wert der angebotenen Flexibilität unterscheidet sich von Netzknoten zu Netzknoten. Für die Stromproduzenten wäre so ein weiterer Anreiz geschaffen, neben der Vermarktung ihres Stroms an der Strombörse Einnahmen aus dem Redispatchmarkt zu erzielen.
Wie alle marktwirtschaftlichen Systeme muss sich der marktbasierte Redispatch in der realen Energiewirtschaft aber für alle Beteiligten als nützlich und systemdienlich erweisen. Ein komplett freier Redispatchmarkt hat aber genau hier wie auch ein administrativer Redispatch ein grundsätzliches Problem: Rein wirtschaftlich gesehen kann sich die Inkaufnahme von Ungleichgewichten durchaus lohnen.
Der Redispatch der Zukunft kann nicht ohne die Einbeziehung von dezentralen Stromproduzenten, Stromspeichern und Stromverbrauchern funktionieren – allein schon, weil konventionelle Kraftwerke zunehmend vom Netz gehen werden und somit die heutigen Erbringer von Redispatch-Maßnahmen nach und nach wegfallen. Ob sich ein marktbasierter Ansatz oder ein um dezentrale Akteure erweiterter ordnungspolitischer Ansatz („Redispatch 2.0“) durchsetzen wird, ist trotz EU-Verordnung heute noch offen. Wir werden die Entwicklungen weiter für Sie begleiten…
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