Übertragungsnetzbetreiber (kurz ÜNB) betreiben überregionale Stromnetze und transportieren Strom auf der Ebene der Höchstspannung (>220 kV) über längere Distanzen. Sie sind für den sicheren Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau der Stromnetze verantwortlich. Instrumente, um diesen Aufgaben gerecht zu werden sind beispielsweise die Systemdienstleistungen wie die Spannungshaltung, der Versorgungswiederaufbau des Netzes oder die Frequenzhaltung. Das gesamte deutsche Übertragungsnetz ist ca. 35.000 km lang. In dieses wird Strom von Großerzeugern oder aus unterlagerten Netzebenen eingespeist und über die Übertragungsnetze weitergeleitet an die Netze der regionalen Verteilnetzbetreiber (VNB). An den Kopplungsstellen der Übertragungs- und Verteilnetze wird der Strom durch Umspannwerke zu einer niedrigeren Spannung transformiert. Bildlich vorstellen kann man sich die Übertragungsnetze als Stromautobahnen, während die Verteilnetze als Land- oder Kreisstraßen die regionalere Verteilung übernehmen. Nicht nur inländisch, sondern auch über Landesgrenzen hinaus verbinden die ÜNB Stromnetze und arbeiten so gemeinsam am europäischen Verbundnetz.
Während in den meisten europäischen Staaten lediglich ein ÜNB das Höchstspanungsnetz betreibt, stellt Deutschland eine Ausnahme dar. Denn hierzulande gibt es vier ÜNB – Amprion, 50Hertz Transmission, TenneT und TransnetBW. Jeder dieser Anbieter ist für eine andere Regelzone zuständig.
Die vier Regelzonengebiete Deutschlands, in denen die ÜNB Stromverbraucher und Stromerzeuger miteinander verbinden und die Stromversorgung des Landes sicher stellen, sind unterschiedlich groß. TenneT arbeitet in Deutschland in der Regelzone, die sich von Schleswig-Holstein bis nach Bayern erstreckt, 50Hertz Transmission betreibt das Höchstpannungsnetz im Osten Deutschlands und Amprion in sieben westdeutschen Bundesländern. Die Regelzone der TransnetBW ist die kleinste und liegt zwischen den Netzen von TenneT und Amprion in Süddeutschland.
Die vier Regelzonen sind über Kuppelstellen miteinander verbunden. Diese Kooperation der deutschen ÜNB wird als Netzregelverbund (NRV) bezeichnet. Amprion koordiniert den NRV und stimmt jegliche vorgesehenen Energietransfers zwischen den deutschen ÜNB am Vortag ab.
Vor der Entstehung des NRV im Jahr 2010, regelten die ÜNB Unausgeglichenheiten in ihrem Netzgebiet unabhängig von den anderen Regelzonen. Dies hat sich durch den NRV gewandelt: Heute werden neben der Saldierung aller Bilanzkreisabweichungen einer Regelzone (Regelzonensaldo) zusätzlich die Systembilanzen aller Regelzonen im NRV saldiert (NRV-Saldo). Überschüssiger oder fehlender Strom kann, wenn die Übertragungskapazitäten es zulassen, zonenübergreifend ausgeglichen werden. Im Optimalfall werden lediglich die nach der Saldierung übergebliebenen Ungleichgewichte durch eingekaufte Regelenergie ausgeglichen. Letztendlich vermindert dieses Vorgehen die Notwendigkeit des Einsatzes von Regelenergie.
2021 wurde im NRV ein neues Netzsaldo-Ampelsystem eingeführt, welches Ungleichgewichte im Stromnetz nun transparent zu jedem Zeitpunkt an alle Marktteilnehmer kommuniziert. Eine rot positive Ampel beispielsweise zeigt einen hohen Saldo der Systembilanz aufgrund einer Unterdeckung an, während eine rot negative Ampel auf eine starke Überdeckung hinweist.
Eine Besonderheit stellt das Netzgebiet der Stadt Flensburg dar. Flensburg befindet sich exakt an der Grenze zwischen den Regelzonen des deutschen ÜNB TenneT und des dänischen ÜNB Energinet. Die Spannung an diesem Punkt im Stromnetz beträgt 50kV – 60 kV und ist nicht direkt kompatibel mit der Spannung im TenneT Netz, sondern muss erst durch einen Leistungstransformator umgewandelt werden. Aufgrund dieser Verbindung zum dänischen Stromnetz ist Flensburg technisch gesehen eine virtuelle Regelzone Dänemarks, es gelten aber die Regeln des deutschen Strommarkts.
Schaut man sich die Grenzen der Regelzonen an, kann man viel über die Historie des Stromnetzes in Deutschland herausfinden. Bereits zur Zeit des Deutschen Reichs wurde der Strommarkt aufgeteilt und jeder Stromproduzent – darunter RWE und PreussenElektra – war von da an allein für ein Gebiet verantwortlich. Somit waren die Konzerne in ihrem Versorgungsgebiet konkurrenzlos. Über die Jahre kamen ein paar Hauptstromversorger dazu, doch die Versorgungsgebiete blieben beinahe vollkommen identisch bis es in den späten 90ern zu Konzernfusionen kam. Die Anzahl der Anbieter und Gebiete reduzierte sich auf diese Weise, aber die Grenzen des Stromnetzes des Deutschen Reichs sind bis heute noch in den Regelzonen erkenntlich.
Noch sehr lange Zeit waren die Stromproduzenten auch gleichzeitig die Verteil- sowie Übertragungsnetzbetreiber. Mit der vollständigen Strommarktliberalisierung durch das 1998 in Kraft getretene „Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts“ wurde es neuen Stromanbietern erlaubt, in den Markt einzutreten und Stromverbraucher_innen können seitdem ihren Stromanbieter selbst wählen. Dies sollte ursprünglich den Wettbewerb auf dem Markt ankurbeln, doch größtenteils führte es zum Gegenteil. Viele der großen traditionellen Stromanbieter schlossen sich zusammen, sodass bis 2002 vier große Energiekonzerne entstanden waren: RWE, E.ON, Vattenfall Europe und EnBW. Die Versorgungsgebiete der Großkonzerne, welche zu dieser Zeit die Rolle des Stromproduzenten, Stromversorgers und Netzbetreibers zugleich verkörperten, entsprechen den bis heute bestehenden vier Regelzonen. Die Fusionen hatten zur Folge, dass Konkurrenz weitestgehend durch die vier Großkonzerne ausgeschaltet wurde.
Erst in den Jahren 2010 bis 2012 wurden im Rahmen des von der EU geforderten Unbundling erste Maßnahmen getroffen, um den Netzbetrieb und die Stromübertragung von der Stromerzeugung und Versorgung zu entkoppeln. RWE, E.ON, Vattenfall Europe und EnBW übereigneten ihre Übertragungsnetze an TenneT, 50Hertz, Amprion und TransnetBW – die aktuellen Übertragungsnetzbetreiber.
Die Aufgaben eines ÜNB beziehen sich vor allem auf den sicheren Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau des Stromnetzes. In §11 des Energiewirtschaftsgesetzes sind ihre Pflichten wie folgt definiert: „Betreiber von Energieversorgungsnetzen sind verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist.“
ÜNB sind dafür verantwortlich, die Nachfrage nach Übertragung von Elektrizität zu decken und die Versorgungssicherheit zu garantieren. Sie müssen außerdem Informationen für andere Netzbetreiber transparent darlegen, sodass die Koordination sowie der Ausbau des Stromnetzes möglichst sicher und effizient geregelt werden kann.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie darf durch Rechtsverordnung in die Strukturen der ÜNB eingreifen, etwa wenn es um gesetzliche Verordnungen, technische Vorgaben oder die Erlösobergrenze geht, welche einem natürlichen Monopol entgegenwirkt. Der ÜNB Amprion schreibt auf der eigenen Website, dass es ein reguliertes Unternehmen ist, welches sich nach den Rahmenvorgaben der Bundenetzagentur richtet.
Des Weiteren müssen ÜNB den Strom, der von Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen) unter 100 kW ins Verteil- oder Übertragungsnetz eingespeist wurde, abnehmen, ihn an der Strombörse vermarkten und nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) eine festgelegte Einspeisevergütung an die EE-Anlagen auszahlen. Anlagen ab einer Größe von 100 Kilowatt sind jedoch inzwischen größtenteils dazu verpflichtet, ihren Strom von eigener Hand oder über einen Direktvermarkter an der Börse zu vermarkten.
Damit eine stetige Stromversorgung gewährleistet werden kann, kümmern sich Netzbetreiber um den sicheren Betrieb der Stromnetze und bedienen sich dabei den sogenannten Systemdienstleistungen. Diese können in vier Bereiche unterteilt werden:
Das deutsche Übertragungsnetz existiert nicht nur isoliert innerhalb der Grenzen Deutschlands, sondern ist ebenso mit den Netzen der Nachbarländer Dänemark, die Niederlande, Schweiz, Tschechien, Belgien, Österreich und Frankreich verbunden. Der international erweiterte Netzregelverbund wird auch International Grid Control Cooperation genannt (IGCC). Das europäische Verbundnetz ist sowohl für die deutsche Regelzone als auch für die benachbarten Länder von Vorteil. Mehr Stromverbindungen bedeuten mehr Sicherheit und Stabilität im Netz. So verringern sich idealerweise die Notwendigkeit und damit auch die Kosten für die Beschaffung von Regelenergie (jedoch nicht für die Regelleistungsvorhaltung), wenn Kraftwerke sich sowohl im inländischen NRV als auch im internationalen Verbundnetzaufeinander abstimmen können.
Trotz der Electricity Balancing Guideline (EB-GL) läuft der zwischenstaatliche Austausch von Elektrizität noch nicht reibungslos ab und viele der geplanten internationalen Projekte konnten bisher nicht umgesetzt werden. Die Internetplattformen PICASSO, MARI und TERRE, auf denen in Zukunft der internationale Handel von Regelenergie und Systemdienstleistungen stattfinden soll, befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Auch bei anderen Projekten wie z.B. der FCR-Kooperation mangelt es an der Umsetzung.
Neben der physischen Verbindung der europäischen Netze wird auch eine kommerzielle Verbindung der Märkte vorangetrieben. Strom hat die Eigenschaft stets den kürzesten Weg zwischen Produktions- und Verbrauchsort zu wählen. Die physikalische Realität in grenzüberschreitenden Netzen sieht so aus, dass der Strom auch über Landesgrenzen hinweg fließt. Eine Kopplung der Märkte (das sogenannte Market Coupling) gleicht sich also der Realität der Stromflüsse an. Neben den bereits angesprochenen gemeinsamen Plattformen für die Beschaffung von Regelenergie gibt es auch Marktkopplungssysteme für den Day-ahead- und Intraday-Handel. Ziel beim Market Coupling ist das Netz zu stabilisieren und Preisunterschiede zu minimieren.
In den meisten anderen Ländern Europas wird das gesamte Übertragungsnetz nur von einem ÜNB koordiniert. Lediglich im Vereinigten Königreich agieren ähnlich wie in Deutschland vier ÜNB. Es fällt außerdem auf, dass in vielen Ländern, z.B. Frankreich, prozentual mehr Hochspannungsstrom mit einer Spannung von 60kV - 220 kV von den ÜNB durch das Stromnetz geleitet wird, während in Deutschland unter 150 kV in den Übertragungsnetzen gar kein Strom fließt. Der meiste Strom im Übertragungsnetz wird hierzulande mit einer Spannung von 380 kV transportiert.
Hier finden Sie eine vollständige Auflistung der europäischen ÜNB.
Im Hinblick auf die Entwicklungen des Energieversorgungssystems stellt sich die Frage: Wie wird sich die Rolle der Übertragungsnetzbetreiber in Zukunft verändern?
Die ÜNBs werden im Rahmen der Energiewende vor einige Herausforderungen gestellt. Eine möglichst umweltfreundliche und flexible Stromübertragung ist nur möglich, wenn die ÜNBs ihre Technologien stets auf dem neuesten Stand halten. Aktuell hinkt der Netzausbau diesen Anforderungen noch hinterher.
Einerseits führt die Energiewende dazu, dass Strom seltener durch konventionelle Großerzeuger und öfter durch dezentrale Anlagen produziert wird, was die Energietransportwege zu kleinen Verbrauchern verkürzt. Andererseits findet die größte Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien, besonders aus Windenergie, im Norden des Landes statt, während der größte Stromverbrauch in Süd- und Mitteldeutschland, den Industriezentren und Ballungsräumen zu verzeichnen ist. Der Strom muss also über weite Strecken transportiert werden, um an die Großverbraucher zu gelangen. Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) sollen hier Abhilfe schaffen und befinden sich bereits im Bau. Auch hinsichtlich des grenzüberschreitenden Stromhandels sind die Übertragungskapazitäten aktuell noch nicht ausreichend.
Eine weitere Herausforderung der Netze ist, dass es, um nochmals das Bild der Stromstraßen zu bemühen, zukünftig auch Gegenverkehr geben kann. Batteriespeicher in E-Autos, Prosumer oder PV-Überschusseinspeiser bringen neue Anforderungen an die deutschen Stromnetze.
Außerdem vergrößert sich in Folge der vermehrten Verbreitung von kleineren, dezentralen Anlagen im Netz die Verantwortung der Verteilnetzbetreiber. Denn Energie wird heutzutage wegen des wachsenden Anteils an kleineren EE Anlagen und Gaskraftwerken zunehmend im Verteilnetz erzeugt. Dies erfordert eine noch engere Zusammenarbeit zwischen den Netzbetreibern.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.