Macht- oder Vernunftentscheidung? Die Energiewirtschaft diskutiert die Trennung der gemeinsamen Strompreiszone zwischen Deutschland und Österreich zum 1. Oktober 2018. Das Thema ist ebenso komplex wie kontrovers – wir versuchen, einen kleinen Überblick über Ursachen und Folgen zu geben.
Klar ist: Die seit 2002 zwischen Deutschland und Österreich bestehende, gemeinsame Strompreiszone existiert ab dem 1. Oktober 2018 nicht mehr. Weniger statt mehr europäische Integration – leider durchaus passend in diesen Zeiten. Strommarkt und Energiewirtschaft diskutieren seit dem Bekanntwerden der Forderung der Bundesnetzagentur (BNetzA) nach der Einführung der Engpassbewirtschaftung vom 28. Oktober 2016 über das Für und Wider einer Trennung der gemeinsamen Preiszone zwischen Deutschland und Österreich und das Ende des Phelix DE/AT.
Einig sind sich die Experten, dass die Gründe für die Trennung vor allem in den energiewirtschaftlichen Auswirkungen der infrastruktureller Defizite begründet sind: Die Netzkuppelstellen zwischen Deutschland und Österreich sind nicht leistungsfähig genug, um Lastspitzen der deutschen Erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind nach Österreich zu übertragen. Folglich müssen die deutschen und österreichischen Übertragungsnetzbetreiber die überlasteten Netze immer wieder aus der Netzreserve, mit Regelenergie und Re-Dispatch stabilisieren – zu hohen Kosten.
Ein zweites und für die europäische Strommarktbehörde ACER im Vordergrund stehendes Problem sind die sogenannten Loop-Flows in osteuropäische Länder, die durch die schwache Netzinfrastruktur in Deutschland und insbesondere im deutsch-österreichischen Grenzgebiet zustande kommen. Der Strom, der nicht über die Netzkuppelstellen fließen kann, weicht in Form von Ringschlüssen nach Polen und Tschechien aus und belastet dort die Netze ohne irgend einen Handelsnutzen zu bringen. Folglich machen sich insbesondere die osteuropäischen Länder für eine Aufhebung der Strompreiszone stark, da auch sie die überlasteten Netze durch teure Systemdienstleistungen stabil halten müssen.
Am 28. Oktober 2016 forderte die BNetzA die Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland und Österreich auf, ein Konzept für die Engpassbewirtschaftung der deutsch-österreichischen Netzkuppelstellen vorzulegen – eine de-facto-Aufhebung der deutsch-österreichischen Strompreiszone und eine Entkoppelung des Phelix DE/AT, da über eine dauerhafte Engpassbewirtschaftung kein ungehinderter Austausch und Handel mehr möglich wäre.
Die deutschen Stromhändler blickten der ins Haus stehenden Strompreiszonentrennung eher gelassen entgegen, Österreich hingegen erhob scharfen Protest: Sie befürchteten Strompreiserhöhungen von bis zu zehn Prozent im Jahresmittel, falls der günstige deutsche Überschuss-Wind- und Sonnenstrom im Phelix AT aus der Kalkulation fiele. Im April beunruhigte schließlich die Zahl von 2.500 MW – mehr Strom sollte das geplante Engpassmanagement zwischen Deutschland und Österreich nicht mehr über die Grenze lassen.
Zeitgleich reagierte die Terminmarktbörse EEX vorauseilend auf die möglicherweise anstehende Trennung, denn viele Marktakteure besichern ihre Handelsinteressen teilweise Jahre im Voraus mit sogenannten Terminmarktgeschäften. Produzenten wie Erzeuger handeln mit diesen Futures Preise für künftige Stromlieferungen aus und sichern sich damit gegen kommende Preisrisiken ab. Vertragliche Grundlage dieser auch Hedging genannten Methode ist allerdings die gemeinsame deutsch-österreichische Preiszone: Zerbricht diese, fehlt den eigentlich als Absicherung gedachten Geschäften die physikalische Grundlage. Statt der erwünschten Risikominimierung herrscht nun starke Unsicherheit in den Portfolien.
Um diesem enormen Risiko Rechnung zu tragen, gab die europäische Strombörse im April bekannt, neben den bestehenden Phelix DE/AT Kontrakten für die deutschösterreichische Preiszone neue, ausschließlich für Deutschland geltenden Phelix DE Futures anzubieten. Stromhändler können damit Terminmarktgeschäfte in einen ausschließlich deutschen Markt ausüben. Zeitgleich sicherte die EEX zu, die bisherigen DE/AT-Futures und andere Produkte weiterhin beizubehalten, auch seien Produkte für die ausschließlich österreichische Preiszone geplant. Mehr noch: Käme es doch nicht zum Preiszonensplit, würden die just eingeführten Produkte wieder aus dem Handel genommen.
Am 5. Mai veröffentliche die EEX ein Papier, das einerseits konkreter auf die Folgen und Maßnahmen angesichts der erwarteten Preiszonentrennung einging, andererseits aber die ausdrückliche Besorgnis über die Trennungsabsichten ausdrückte. Denn auch wenn die Vielzahl neuer Produkte aus Marktsicht zwar buchhalterische Sicherheit schafft, schwächt sie jedoch die Effizienz des Marktes. Statt wie bisher in ein Produkt müsste sich die vorhandene Liquidität nun auf drei parallel existierende Strukturen aufteilen – ohne das zu diesem Zeitpunkt klar war, welche Entwicklung der Markt letztlich nehmen würde. Zudem müssten, so die EEX, eine Vielzahl weiterer Herausforderungen bezüglich Preisfindung, Abrechnung und vielem mehr gemeistert werden.
Auch wenn sich die EEX klar von den Trennungsabsichten distanzierte und der Markt kaum auf die neuen DE-Produkte reagierte, schuf man womöglich ungewollt Fakten, die eine Trennung begünstigen würden: So markierte der 15. Mai nur wenig später die endgültige Entscheidung für die Trennung der Strompreiszone Deutschland/Österreich. In einer Pressemitteilung der BNetzA führte Agenturchef Jochen Homann aus, dass man einen guten Kompromiss beim Engpassmanagement mit den österreichischen Partnern von E-Control erreicht habe. Statt den zuvor kolportierten 2.500 MW sei nun ein Austausch von 4.900 MW über die Grenzkuppelstellen möglich, als Einführungsdatum und de-facto-Ende der gemeinsamen Strompreiszone wurde der 1. Oktober 2018 festgelegt – ein unglückliches Datum, da hierdurch sämtliche Kontrakte für 2018 beschädigt würden, wie ein Stromhandelsexperte von Next Kraftwerke anmerkte.
Wie die EEX in einer Kundeninformation vom 18. Mai 2017 erklärte, kann sie spätestens mit der endgültigen Trennung am 1. Oktober 2018 keine Day-Ahead-Auktion mehr für das gemeinsame Marktgebiet durchführen. Die Ergebnisse dieser Auktion stellen jedoch die Grundlage sowohl für den Phelix-DE/AT-Index sowie der Schlussabrechnungspreise der Phelix-DE/AT-Futures dar. Die logische Folge mit der Schaffung von zwei Indizes sieht das derzeitige Regelwerk der EEX jedoch noch gar nicht vor, entsprechende Regelungen müssten erst erarbeitet werden. Das gilt umso mehr für eine Berechnungsformel für die Abrechnungspreise der dann noch laufenden DE/AT-Kontrakte. Sowohl für die Kontraktspezifikationen der Länderindizes als auch für die Gewichtung zwischen Deutschland und Österreich im angestrebten Verhältnis 9 zu 1 wurden anschließend Vorschläge unterbreitet und mittlerweile auch abgesegnet: Die reinen DE & AT-Kontrakte rechnen künftig gegen die jeweiligen Day-Ahead Auktionen beider Länder, während die existierenden DE/AT Kontrakte einen virtuellen Indexpreis gemäß obiger Formel bekommen würden.
Zumindest für die Terminmarktbörse gibt es damit bis auf weiteres drei Kontraktschienen: Phelix DE, Phelix AT und Phelix DE/AT. Schon die Ähnlichkeit der Benennung illustriert die Schwierigkeiten, die der Preiszonensplit mit sich bringt. Nach wie vor können beispielsweise ganze Jahreslieferungen für DE/AT-Strom im Jahr 2023 gehandelt werden. Die Abrechnung dieses Kontrakts erfolgt dann gegen einen virtuellen Preis einer Preiszone, die zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre lang nicht mehr existiert – zugegebenermaßen ein eher theoretisches Problem. Ganz praktisch muss jedoch im Risikomanagement gewürdigt werden, dass der gleiche Kontrakt für das Jahr 2018 mit dem Monatswechsel September/Oktober 2018 eine völlig neue Berechnungsgrundlage mit dem rein-deutschen bzw. rein-österreichischen Strompreis erhält.
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Hanns Koenig von Aurora Research stellt jedoch klar: "Die Entscheidung der Bundesnetzagentur ist auch vor dem Hintergrund des schleppenden Netzausbaus in Deutschland zu sehen" und legt damit den Finger in die Wunde: Phänomene wie Engpässe, überlastete Netzkuppelstellen und Loop-Flows kommen vor allem zustande, weil das deutsche Stromnetz insbesondere im Austausch zwischen dem wind- und stromreichen Norden und dem stromärmeren Süden nicht funktioniert. Das eigentliche Problem liegt daher nicht zwischen Bayern und Österreich, sondern mitten in Deutschland entlang der Mainlinie.
Werde der Netzausbau weiter verschleppt, sei, so Koenig, auch eine Aufspaltung des deutschen Strommarktes in eine Nord- und Südzone denkbar, da die Differenz zwischen den physikalischen Lieferfähigkeiten und dem gehandelten Strom schon jetzt zu groß ist. „Eine solche innerdeutsche Teilung hätte einen weitaus größeren Effekt auf den deutschen Strommarkt“ – dagegen seien die Folgen der Strompreiszonentrennung zwischen Deutschland und Österreich vernachlässigbar.
Lesen Sie zum Thema auch Thorsten Zoerners Beitrag bei den Energiebloggern:
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