Ein immenser administrativer Aufwand, eine bereits mehr als ein Jahr andauernde Übergangslösung, Anlagenbetreibende, die monatelang auf ihr Geld warten müssen - Redispatch 2.0 läuft bisher alles andere als rund. Aus der Branche hagelt es Kritik und Worte wie Desaster und Dilemma dominieren die Schlagzeilen der einschlägigen Medien. Ist Redispatch 2.0 noch zu retten und wo liegen aktuell die größten “dornigen Chancen”?
Dem wollen wir auf den Grund gehen und grundlegende Probleme (sowie mögliche Lösungen) des neuen Redispatch-Regimes von drei Seiten beleuchten: aus Sicht von Anlagenbetreibenden, Direktvermarktern und Netzbetreibern. Doch zuallererst gilt es zu klären: Wo steht der Redispatch 2.0 Prozess eigentlich gerade, denn komplett ausgerollt ist er noch nicht.
Entgegen der ursprünglichen Timeline befindet sich das Redispatch 2.0 Regime nach wie vor in einer Übergangslösung. Diese sollte ursprünglich bis zum 1. Mai 2022 andauern, hat jedoch mangels Alternativen Bestand bis heute. Einige der vom Redispatch Betroffenen haben sich auf eine Handlungsempfehlung des BDEW geeinigt, die jedoch soweit nicht klar bilateral vereinbart, keine rechtliche Bindung hat. Konkret bedeutet dies, dass aktuell neben dem bilanziellen Ausgleich des Redispatchs durch die Netzbetreiber (Ziellösung), faktisch ein finanzieller Ausgleich koordiniert durch die Bilanzkreisverantwortlichen (Übergangslösung) existiert. Eine Situation, die auf rechtlich wackeligen Beinen steht.
In der Übergangslösung wird bei einer Abregelung von Anlagen durchs Redispatch 2.0 kein bilanzieller Ausgleich durch die Netzbetreiber durchgeführt. Dies bedeutet, dass der Bilanzkreisverantwortliche (BKV) den Ausgleich selbst vornehmen muss, beispielsweise durch Zu-oder Verkauf von Strommengen. Im Anschluss erhält er von den Netzbetreibern hierfür einen finanziellen Ausgleich– quasi als Ersatz für seine Aufwände. Die Ziellösung des bilanziellen Ausgleichs sieht vor, dass bei einer Redispatch-Maßnahme der Bilanzkreis durch den Netzbetreiber automatisch ausgeglichen wird.
Fehlende Standards in den Prozessen, unvollständige Datensätze in verschiedensten Formaten sowie eine hinterherhinkende IT-Umsetzung gehören aktuell noch zu den größten Herausforderungen des Redispatchs und ziehen sich durch die Kritik sämtlicher Marktakteure.
Einen Übergang auf unbestimmte Zeit zu deklarieren sorgt für Verunsicherung und Planungsunsicherheit. Das Aufsetzen von Prozessen und die Ressourcenplanung für einen Redispatch in der Schwebe ist alles andere als effizient.
Wir wollen die Probleme des aktuellen Redispatchs im Übergang des Übergangs von verschiedenen Seiten beleuchten und Punkte herausarbeiten, wie man die aktuelle Situation verbessern könnte. Klar ist, dass Redispatch 2.0 eine immense Herausforderung darstellt und sein Gelingen immens wichtig für die Systemsicherheit ist.
Mit dem Redispatch 2.0 werden mehr Anlagen und somit auch mehr Anlagenbetreibende in die Pflicht genommen. EE- und KWK-Anlagen ab einer installierten Leistung von 100 kW müssen am Redispatch teilnehmen und neue Rollen übernehmen.
Dafür mussten sie Daten, welche sie von ihrem Verteilnetzbetreiber (VNB) erhalten, an ihren Einsatzverantwortlichen (EIV; meist der Direktvermarkter) übermitteln. Hier steigt die Spannungskurve des Redispatch Dramas bereits an: Einige VNB übermitteln die Daten digital, andere per Post oder sogar per Fax, wodurch auch beim EIV die Daten in den unterschiedlichsten Formaten ankommen. Es mangelt an einem standardisierten digitalen Prozess und einheitlichen Regeln. Ein Problem, das sich durch das Redispatch 2.0 durchzieht. Der ursprünglich vom BDEW im Rahmen des Einführungsszenarios erarbeitete Weg wurde nicht eingehalten.
Problematisch ist zudem, dass die Entschädigungen an die Betreibenden für die Abregelungen sehr spät ausgezahlt werden. Auch hier rächen sich die Uneinheitlichkeit und die nicht standardisierten Prozesse in der kurzfristig eingeführten Übergangslösung. Die Kommunikation zwischen Betreibenden, Direktvermarktern, und VNBs ist nicht geregelt und läuft alles andere als glatt. Unvollständige Datensätze und falsche, sich immer wieder ändernde Angaben sorgen für immensen Mehraufwand und Verzögerungen.
Neben diesen allgemeinen Problemen zeigt die aktuelle Ausgestaltung des Redispatchs auch verschiedene, energieträgerspezifische Schwächen.
Aus der Biogasbranche wird die Kritik hervorgebracht, dass die Wärmeversorgung bei Abregelungen durch den Redispatch nicht genügend Beachtung findet. Dies führt stellenweise zu absurden Zuständen, dass Biogasanlagenbetreibende ihren Wärmeverpflichtungen nicht nachkommen können und bei einer Leistungsdrosselung durch das Redispatch und gleichzeitig hohem Speicherfüllstand ihr Gas sogar abfackeln müssen. Theoretisch existiert zumindest für die Angabe von Wärmelieferverpflichtungen das Planwertmodell, welches sich aktuell jedoch ebenfalls noch in einer Übergangsphase befindet.
Die tatsächliche Höhe der durch das Redispatch entstandenen Kosten schwankt von Anlage zu Anlage stark. Diese hängen vom Fermenter des BHKW oder den Kosten der eingesetzten Biomasse ab. Eine pauschale Vergütung würde die durch den Redispatchabruf anfallenden Kosten nicht für alle Anlagen abdecken. Die Höhe des Ausgleichs anlagenspezifisch zu ermitteln, löst auf Seiten der Betreibenden immense Administrationskosten auf und lässt sich von Seiten der Netzbetreiber kaum überprüfen.
Neben der Wärme wird auch das Thema Flexibilität noch zu wenig beachtet. Flexible Anlagen, wie beispielsweise Biogasanlagen, können auf kurzfristige Preisschwankungen reagieren und/oder am Regelenergiemarkt teilnehmen und übernehmen damit bereits wichtige Aufgaben hinsichtlich der Netzstabilität. Der bilanzielle und anschließende finanzielle Ausgleich bilden dies nicht ab. Entgangene Regelenergieerlöse werden nicht ausgeglichen.
Biogasanlagen haben durch ihre Flexibilität und Wärmelieferung einige systemische Vorteile und tragen bereits zur Systemstabilität außerhalb des Redispatch 2.0 Systems bei. Da sie zudem einen recht kleinen Redispatch-Hebel haben, stellt sich die Frage, ob das Einbeziehen der Biogasanlagen (mit genutzten Flexibilitätspotenzialen und Wärmeverpflichtungen) in den Redispatch 2.0 überhaupt sinnvoll ist und nicht zu einem unnötigen Mehraufwand und unterm Strich höheren Kosten als Nutzen führt.
Bei Batteriespeichern gibt es noch einige offene Fragen und Besonderheiten hinsichtlich des Redispatchs. Batteriespeicher können am Regelenergiemarkt teilnehmen und haben meist Liefer- oder Abnahmeverpflichtungen, die sie im Falle eines Redispatchabrufs nicht mehr erfüllen können. Während des Abrufs können Batterien ihre Flexibilität nicht optimal vermarkten. Wie wird mit den entgangenen Mehrerlösen durch eine optimierte Flexibilitätsvermarktung umgegangen und wie werden Abnutzungen durch Be- und Entladung der Batteriespeicher berücksichtigt? Diese Fragen bleiben bisher unbeantwortet. Zudem ist auch fraglich, ob Batteriespeicher am Redispatch 2.0 überhaupt sinnvoll teilnehmen können, da bisher der Netzbetreiber keine Informationen über die Füllstände der Batterien sammelt.
Auch im Bereich der Photovoltaik gibt es fragliche Kosten-Nutzen Verhältnisse. Gerade ältere PV-Anlagen können nur einen begrenzten Beitrag zur Systemsicherheit leisten. Ihre Eingliederung in den Redispatch 2.0 erfordert jedoch einen um ein Vielfaches höheren Aufwand – bspw. bei der Herstellung der Fernsteuerbarkeit – als bei neueren Anlagen. Aufgrund der Größe der Anlagen ist es mehr als fraglich, ob der vermeintliche systemische Nutzen die enormen Aufwendungen rechtfertigt.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei Anlagen, welche für den Eigenverbrauch genutzt werden. Sie müssen ihre Eigenbedarfe kontinuierlich über Prognosen an den Netzbetreiber übermitteln, um diese vor einem Redispatchabruf zu schützen. Daraus ergibt sich einerseits die Schwierigkeit, dass exakte Prognosen des Eigenverbrauchs, besonders für kleine und mittelständige Unternehmen, unmöglich sind. Andererseits dürfen bereits angemeldete Eigenbedarfe in Ausnahmefällen trotzdem abgeregelt werden. Offen bleibt, wie damit umgegangen werden soll, wenn eine Anlage hierdurch, statt ihren eigenen Strom zu nutzen, Strom auf dem Markt beziehen muss. Die Differenzkosten müssten dem Anlagenbetreibenden erstattet werden, damit dieser durch den Redispatch-Eingriff nicht schlechter gestellt wird. Bisher gibt es auch für diesen Ausgleich keinen standardisierten Prozess, sodass wieder auf individuelle Abrechnungen mit extrem hohem administrativem Aufwand zurückgegriffen werden muss. Des Weiteren ist bis dato beim bilanziellen Ausgleich nicht vorgesehen, den Bilanzkreis des Lieferanten, der durch den erhöhten Eigenverbrauch negativ beeinflusst wird, auszugleichen. Die Folge dürfte sein, dass bei häufigen Regelungen die Lieferanten die Preise erhöhen müssen, wodurch die Betreiber durch die Redispatch Maßnahmen nochmals negativ betroffen sind.
Schon als Redispatch 2.0 gesetzlich verankert wurde, wurden mahnende Stimmen der Marktpartner übergangen, die die sehr kurze Einführungszeit bemängelten. Fraglich ist, warum eine so große Änderung nicht, wie ähnlich große marktliche Veränderungen in der Vergangenheit, Schritt für Schritt eingeführt wurde. Als Beispiel sei hier an die verpflichtenden Direktvermarktung erinnert, deren Grenzwert mit Bedacht langsam reduziert wurde. Eine stufenweise Einführung nach Anlagengrößen hätte bei der Einführung wesentliche Vorteile gehabt. Man hat sich entschieden, das ganz große Rad zu drehen - und dabei einiges auf der Strecke überrollt.
Der finanzielle Ausgleich der Übergangslösung löst auf Seiten der Direktvermarkter einen immensen Mehraufwand aus, welcher nicht entschädigt wird. Der Mehraufwand ergibt sich insbesondere durch das Fehlen von klaren und standardisierten Formaten für die Marktkommunikation und Rechnungserstellung. Mengen, die vorher durch Netzbetreiber übermittelt wurden, werden nachträglich wieder abgeändert und Rechnungen müssen wiederum neu erstellt werden. Zudem gibt es keine Fristen, bis wann Mengen nachträglich angepasst werden. Dies erschwert es schlanke Abrechnungsprozesse aufzusetzen und führt schlussendlich zu Verzögerungen bei den Auszahlungen an die Anlagenbetreibenden. Wünschenswert wäre hier, bereits während der Übergangslösung schlankere Prozesse und klare Fristen zu etablieren. Die Bundesnetzagentur geht in der Mitteilung Nr.10 zum Redispatch 2.0 zumindest teilweise auf diese Problematik ein und empfiehlt Abschlagszahlungen auf den Aufwendungsersatz an den BKV zu leisten. Dieses Vorgehen muss nun von den Netzbetreibern auch flächendeckend umgesetzt werden, damit die aktuell bestehenden Verzögerungen in den Auszahlungen reduziert werden können.
Eine weitere Problematik auf Seiten der Direktvermarkter ist die Diskrepanz der Vergütung, die der Direktvermarkter von den VNBs erhält und der, die er an die Anlagenbetreibenden auszahlt. Einige Direktvermarkter vergüten, wie es im bilanziellen Ausgleich wohl gedacht ist, die abgeregelten Mengen mit dem Marktwert oder im Falle von PPAs wie vertraglich festgehalten. Im finanziellen Ausgleich wird von den VNBs jedoch der Mischpreis bezahlt, welcher nach unseren Berechnungen bisher in Summe geringer ausgefallen ist, als der Marktwert. Next Kraftwerke und einige andere Direktvermarkter übernehmen aktuell aus Kulanz die dadurch entstehenden Verluste, die mittlerweile mehrere hunderttausende Euros betragen.
Zudem muss von VNB zu VNB nachgehalten werden, ob dieser (schon) bilanziell oder (noch) finanziell ausgleicht. Bei einem großen Portfolio kommen da schnell über hundert VNBs zusammen. Es mangelt an einer transparenten Kommunikation. Eine Liste über den Status der einzelnen VNBs gibt es zwar von Seiten des BDEW und bei Netztransparenz, doch beide machen deutlich, dass die Listen nicht rechtsbindend sind und es bleibt unklar, wie aktuell die Informationen der Listen sind. Gerade zum Auslaufen der Frist am 01.06. haben zahlreiche VNBs (zwangsweise) den bilanziellen Ausgleich angekündigt. Nachdem die Übergangslösung verlängert wurde, haben einige VNBs diese Ankündigung wieder zurückgezogen und dies, wie sollte es anders sein, auf den unterschiedlichsten Kommunikationswegen.
Statt wie angestrebt für mehr Transparenz beim Redispatch 2.0 zu sorgen ist die Umsetzung aktuell leider sehr intransparent und Verzögerungen der Auszahlungen sind von außen schwer nachzuvollziehen. Langsam aber sicher etablieren sich besser geölte Prozesse, doch mehr Einheitlichkeit wäre nach wie vor eine wichtige Maßnahme, um den Abstimmungsaufwand zwischen Direktvermarktern als Mittelsperson, Betreibern und VNBs zu minimieren.
Der Redispatch fand vor dem Redispatch 2.0 vornehmlich im Übertragungsnetz statt und wurde demnach von den Übertragungsnetzbetreibern koordiniert. Dies ändert sich jedoch drastisch und mit dem Heranziehen von kleineren Anlagen werden die Verteilnetzbetreiber zentrale Akteure.
Komplexe mehrstufige Abrechnungsprozesse stellen auch die Netzbetreiber vor Herausforderungen. Aktuell findet der bilanzielle Ausgleich nur im Rahmen von Pilotprojekten bei einigen wenigen Netzbetreibern statt. Nach aktuellem Stand stellt ein Wechsel in den bilanziellen Ausgleich eine Gefahr für die Systembilanz dar, da die Sorge besteht, dass Redispatch-Maßnahmen sowohl vom Bilanzkreisverantwortlichen als auch vom Netzbetreiber ausgeglichen werden.
Zudem ist die mit dem Redispatch 2.0 eingeführte Netzzustandsanalyse noch nicht zuverlässig und fehleranfällig, was die Versorgungssicherheit gefährden kann.
Auch die Netzbetreiber dürften sich fragen, warum Sie neben all den Aufwänden für die Implementierung nun auch noch den finanziellen Ausgleich mit dem Direktvermarkter/Bilanzkreisverantwortlichen abstimmen müssen, damit dieser die Gelder dann an die Betreiber durchreicht. Immerhin zahlen die Netzbetreiber Entschädigungen für die Marktprämie weiterhin direkt an die betroffenen Betreiber – aber das Übergangsszenario will es so.
Mehr Informationen
Fakt ist, dass die Missstände einer Lösung bedürfen und hierfür die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Die angestrebte erhöhte Transparenz und das Miteinbeziehen der Erneuerbaren Energien in den Redispatch ist ein richtiger und wichtiger Schritt für ein System aus 100 % Erneuerbarer Energien.
Am Ende eines Dramas steht die Lösung des Konflikts in Form einer Komödie mit positivem Ausgang oder einer Tragödie mit der Katastrophe. Wie es beim Redispatch 2.0 weitergeht, ist noch unklar, denn es ist noch kein Ende der Übergangslösung in Sicht. Wünschenswert wäre eine ehrliche Fehlerkultur, in der Missstände aufgearbeitet und gemeinsame Lösungen erarbeitet werden.
Doch wir bleiben zuversichtlich, dass auch die bisher gescheiterte Einführung des Redispatchs zu einem Happy End führen kann. Und auch um eine Fortsetzung müssen wir uns keine Sorgen machen, denn der Redispatch 3.0 steht bereits in den Startlöchern.