Eine dauerhafte Übergangslösung, die mehr schlecht als recht funktioniert sowie fortwährende Probleme bei der Abrechnung und Vergütung der Ausfallarbeit lassen an einem erfolgreichen Ende des Redispatch 2.0 zweifeln. Doch es tun sich Hoffnungsschimmer auf in der undurchdringlich erscheinenden Komplexität des Redispatch 2.0: Verschiedene Parteien arbeiten an Maßnahmen zur Verbesserung der aktuellen Übergangslösung und daran, wie der Wechsel in ein erfolgversprechenderes Bilanzierungsmodell aussehen kann.
Die Übergangslösung im Rahmen des Redispatch 2.0 sollte eigentlich nur bis zum 01. Mai 2022 Bestand haben, wird aber immer noch großflächig bei der Berechnung und Entschädigung der Ausfallenergie angewendet. Dies geschieht mit mäßigem Erfolg, sprich mit größter Unzufriedenheit bei vielen der beteiligten Protagonisten – den Direktvermarktern und besonders bei den Anlagenbetreibenden. Letztere warten mitunter immer noch monatelang auf die finanzielle Vergütung der Ausfallarbeit, die ihnen durch das Abregeln der Anlage im Rahmen des Redispatch 2.0 zusteht. Die Gründe für diesen schwergängigen, zeitintensiven Abrechnungsprozess sind vielfältig, denn die Komplexität des Redispatch 2.0 fußt nach wie vor auf unausgereiften, nicht etablierten Bilanzierungsmodellen, fehleranfälligen bis nicht vorhandenen Prozessen, intransparenter Kommunikation und infolgedessen von zeitintensiven manuellen Abstimmungs- und Arbeitsschritten. Wir berichteten bereits in unserem Blogbeitrag „Redispatch 2.0 – ein Drama in drei Akten“ von den Problemen beim Redispatch 2.0. Aber auch unser neues Zwischenfazit seit Beginn des Redispatch 2.0 im Oktober 2021 fällt nicht viel positiver aus: Es hat sich an dem Zusammenspiel zwischen den Beteiligten kaum etwas verbessert. Doch scheint allmählich Schwung in das Thema zu kommen.
Die Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur (BNetzA) hat einen Sachverständigen beauftragt, Verbesserungsvorschläge auf Basis zuvor abgeschlossener Pilotprojekte zu erarbeiten und auch der BDEW hat in seinem Taskforce Papier verschiedene konkrete Verbesserungsvorschläge vorgestellt: Ein Portal mit Informationen über die getätigten Abrufe soll mehr Transparenz über die Abrufdaten verschaffen und eine Clearingstelle könnte – im Falle von beispielsweise unterschiedlichen Datenständen, wie sie häufig zwischen Verteilnetzbetreiber und Direktvermarkter auftreten – eine Einigung zwischen den an der Abrechnung Beteiligten erleichtern. Auch eine Vergütungsformel, die verschiedene Aufwände berücksichtigt, ist hilfreich, um die Kosten für die Redispatch-Maßnahmen eindeutig und realistisch beziffern zu können. Es tut sich also etwas und wir schauen im Folgenden, was aus unserer Sicht in der aktuellen Diskussion fehlt und welche Aspekte unbedingt in die Überlegungen zu einem „neuen verbesserten“ Redispatch 2.0 einfließen sollten.
Ein wesentlicher Bestandteil des Redispatch 2.0 ist das angewandte Bilanzierungsmodell. Der Anlagenbetreibende kann aktuell zwischen zwei verschiedenen Bilanzierungsmodellen wählen: Dem Planwert- und dem Prognosemodell. Ursprünglich sollten beide Modelle auf einem bilanziellen Ausgleich beruhen, den der Verteilnetzbetreiber durchführt. In der Praxis scheiterte dieser Ansatz allerdings. Defacto wurde statt des bilanziellen Ausgleichs ein finanzieller Ausgleich – der als Übergangslösung bezeichnet wird – etabliert. Dieser finanzielle Ausgleich beruht auf der Vorstellung, dass der Bilanzkreisverantwortliche – dies ist in der Regel der Direktvermarkter – die Strommengen, die er eigentlich über den bilanziellen Ausgleich erhalten soll, selbst an der Strombörse beschafft. Das heißt, regelt der Verteilnetzbetreiber im Rahmen des Redispatch 2.0 Anlagen ab, soll der Bilanzkreisverantwortlicher (BKV) oder Direktvermarkter die dadurch verursachten Fehlmengen durch Handelsaktivitäten wieder ausgleichen. Ein Unterfangen, für das keinerlei rechtliche Grundlagen geschaffen wurden und das sich als mitunter kostspielig für den Direktvermarkter oder BKV gestaltet, insbesondere dann, wenn der Direktvermarkter zu spät von dem Verteilnetzbetreiber Informationen über die Abregelung erhält und als Folge dessen Ausgleichsenergiekosten anfallen.
Anders als einige Großanlagen, die direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen sind und nach dem Planwertmodell arbeiten, wird aktuell bei vielen mittleren und kleineren Erneuerbaren Energien-Anlagen für die Bilanzierung, Abrechnung und Abrufe allein mit dieser Übergangslösung, also dem Prognosemodell mit finanziellem Ausgleich, gearbeitet. Der Vorschlag des BDEW ist es nun, sämtliche Anlagen schrittweise in das Planwertmodell zu überführen. Dieses Modell hat den Vorteil, dass die Ausfallarbeit auf Basis der zuvor gelieferten Fahrpläne genauer ermittelt werden kann und der gewünschte bilanzielle Ausgleich – durchgeführt von den Verteilnetzbetreibern – ermöglicht wird. Viele Abstimmungsprozesse und -probleme könnten auf diese Weise entfallen. Aktuell kommt es beispielsweise beim finanziellen Ausgleich im Rahmen des Prognosemodells zu mehrfachen, mühseligen Korrekturschleifen zwischen den einzelnen Verteilnetzbetreibern und dem Direktvermarkter. Nicht selten verändert der Verteilnetzbetreiber die Mengen noch Wochen später, so dass sich die finanzielle Vergütung für die Anlagenbetreibenden enorm verzögert.
Stellt also das Planwertmodell mit dem bilanziellen Ausgleich die praktikablere, geschmeidigere Lösung dar? Prinzipiell ja, allerdings offenbaren sich auch hier noch ungelöste Probleme und es gibt Aspekte, die es insbesondere beim Wechsel vom Prognose- zum Planwertmodell zu berücksichtigen gilt.
Der Redispatch 2.0 ging sehr zügig und ohne die Etablierung von ausgereiften Regeln und Standards an den Start. Ein Fehler der Verantwortlichen, der unbedingt bei einem großflächigen Anlagen-Wechsel vom Prognose- in das Planwertmodell zu vermeiden ist. Ein schrittweises Vorgehen, basierend auf gesammelten Praxiserfahrungen und Best Practices, ist empfehlenswert. Diese Vorgehensweise beschreibt auch der BDEW in seinem Task Force Papier als den favorisierten Weg vom Prognose- zum Planwertmodell. Allerdings sollte aus unserer Sicht dieser Wechsel unbedingt in Abstimmung mit den Anlagenbetreibenden (AB) bzw. den Einsatzverantwortlichen (EIV) – oftmals ist dies der Direktvermarkter – erfolgen und der Betreibende sollte weiterhin die Wahlmöglichkeit zwischen beiden Modellen behalten. Außerdem sollte der Wechsel und die damit verbundenen Prozesse massentauglich sein.
Wann, welche Schritte konkret bei einem großflächigen Wechsel zum Planwertmodell umsetzbar sind, ist – Stand heute – noch nicht abzusehen. Zwischenzeitlich nehmen alle am Redispatch 2.0 Beteiligten wohl oder übel Vorlieb mit der Übergangslösung, die trotz erheblicher Mängel aktuell das einzig verfügbare Praxismodell ist. So stellt sich – angesichts der langen Zeit, die diese Lösung bereits existiert und offenbar als länger anhaltendes Modell Bestand haben wird, die Frage, was ließe sich ändern, um die Übergangslösung in eine gut funktionierende Gesamtlösung zu überführen?
Bereits mit Einführung des Redispatch 2.0 hat das Prognosemodell mit finanziellem Ausgleich sukzessive das Abrechnungsprozedere bestimmt, auch wenn es mit enormen Schwierigkeiten verbunden war und ist. Trotz allem macht es Sinn, die Übergangslösung mit dem finanziellen Ausgleich genauer zu betrachten und mögliche Verbesserungsansätze zu eruieren, umso mehr da keine schnell umsetzbare Alternative in Sicht ist.
Maßgebliche Kritikpunkte an der Übergangslösung betreffen aus unserer Sicht die Prozesse, Fristen und regulatorischen Vorgaben sowie die juristische Basis.
Für den finanziellen Ausgleich fehlt die juristische Basis gänzlich. Sie ist aber notwendig, damit einheitliche Regeln für alle Beteiligten klar definiert und transparent sind, wie beispielsweise der Umgang mit Fristen und welche Konsequenzen drohen, sofern diese nicht eingehalten werden. Auch ist es sinnvoll festzulegen, ob die Kompensationen an den Anlagenbetreibenden als Schadensersatz oder als Vergütung zu sehen und zu behandeln ist. Davon ist nämlich abhängig, ob Umsatzsteuer gezahlt werden muss oder nicht. Kommt eine Partei einer Verpflichtung nicht nach, sollte eine Pönalisierung in Betracht gezogen werden. So ist es aktuell nicht selten, dass sich Auszahlungen an den Anlagenbetreibenden um Monate verzögern, da sich die gesamte Bearbeitung seitens des Netzbetreibers hinzieht: Sei es, weil der Erstaufschlag des Netzbetreibers auf sich warten lässt oder weil er die abzurechnende Menge im Nachhinein mehrmals verändert. Hier ist nachzuholen was für andere Bereiche des Energiemarktes selbstverständlich ist: Die Übergangslösung bedarf einer dezidierten rechtlichen Grundlage und verpflichtender Markprozesse. Die BNetzA sollte sich hier berufen fühlen, für die notwendigen Prozesse und Fristen zu sorgen, die eine zügige, fristgerechte Abwicklung ermöglichen. In Ermangelung einheitlicher Vorgaben setzen beispielsweise Netzbetreiber aktuell unterschiedliche Systeme und Datenformate ein. Dies erschwert zum Teil das Daten-Handling bei den Direktvermarktern, so dass viele manuelle, bilaterale Abstimmungsschritte mit den einzelnen Netzbetreibern notwendig sind, und es bläht das ohnehin komplexe Abrechnungssystem unnötig auf. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, einheitliche Standards und möglichst viele verbindliche Datenformate vorzugeben, die zu mehr Transparenz und einer Vereinfachung des gesamten Abrechnungsprozederes führen.
Hinsichtlich der Prozesse und Informationsschnittstellen gibt es ebenfalls Mängel, die einer einfachen Anwendung der “Übergangslösung” im Wege stehen. Aufgrund verspäteter Informationen über Abregelungen seitens des Verteilnetzbetreibers haben BKV oder Direktvermarkter mitunter kaum Spielraum durch entsprechende Handelsaktivitäten ihren Bilanzkreis auszugleichen. Ausgleichsenergiekosten sind die Folge und treiben neben dem übermäßig hohen administrativen Einsatz den gesamten Kostenblock in die Höhe. Hinzu kommt, dass mitunter geringe Mengen abgeregelt und abgerechnet werden, die einen unverhältnismäßig hohen Aufwand verursachen. Das Einführen von Mindestmengen kann den Arbeitsaufwand deutlich reduzieren. Auch schleichen sich oftmals Fehler bei der Ausfallarbeitsberechnung oder Datenübermittlung ein. Hier macht es grundsätzlich Sinn, einheitliche Formate für Clearing-Prozesse mit den Netzbetreibern zu schaffen, die verbindlich von der BNetzA beziehungsweise dem BDEW vorgegeben werden. Das bereits erwähnte vom BDEW vorgeschlagene Transparenzportal mit Informationen über Abrufe und eine Clearingstelle, die bei Datendiskrepanzen unterstützt, ist ebenfalls ein möglicher Weg, der zu einer Vereinfachung und Beschleunigung des gesamten Abrechnungsprozederes beisteuern kann.
Bis diese und andere Maßnahmen greifen, wird es jedoch dauern und einen Zeitplan für die Maßnahmenumsetzung gibt es noch nicht. Aus diesen Gründen und da nicht absehbar ist, wann sich die Situation konkret für die Beteiligten verbessert, sollte die Formel für den Mischpreis im finanziellen Ausgleich ebenfalls auf den Prüfstand gestellt werden. Aufgrund der oftmals verspäteten Informationen über Abrufe ist der Anteil der Ausgleichsenergie deutlich höher und es macht Sinn, diesen Aspekt bei der Berechnung zu berücksichtigen.
Angesichts der zahlreichen Baustellen, die sich bei verschiedenen Aspekten der Übergangslösung auftun, sollten die bisher bestehenden Arbeitsaufwände und Abläufe nicht noch durch das Einbinden zusätzlicher Technologien verkompliziert werden. Wir empfehlen daher dringend, folgende Fälle vom Redispatch 2.0 zunächst auszuschließen:
Sicherlich ist es sinnvoll, perspektivisch diese Technologien in den Redispatch 2.0 zu integrieren, da auch sie einen relevanten Beitrag zur Systemstabilität leisten können. Ein Einbinden dieser Technologien und Komponenten zum aktuellen Zeitpunkt würde jedoch den ohnehin enormen administrativen Aufwand durch noch komplexere Regelungs- und Abrechnungsverfahren weiter erhöhen.
Bei PV-Anlagen mit Eigenverbrauch bestehen weiterhin erhebliche Schwierigkeiten beim Redispatch 2.0. Insbesondere hinsichtlich der Prognostizierbarkeit des Eigenbedarfs und bezüglich einer Abrechnung im Falle einer Abregelung der Eigenbedarfsmengen. Wir berichteten bereits in unserem Blogbeitrag „Redispatch 2.0 – ein Drama in drei Akten“ über diese Problematik. Auch für diese Anlagen müssen massentaugliche Prozesse für die Abrechnung und klare Regelungen geschaffen werden.
Die abzuarbeitende Todo-Liste auf dem Weg zu einem allseits akzeptierten und funktionierenden Modell und einem reibungslosen Redipatch 2.0 ist – wie wir feststellen – lang. Das Beheben der Fehler bei der Übergangslösung und ihre Weiterentwicklung machen jedoch Sinn, solange das Planwertmodell mit bilanziellem Ausgleich noch nicht als besser funktionierende Alternative ausgerollt werden kann. Allen Veränderungen voran sollte die Übergangslösung nicht mehr als solche bezeichnet werden, sondern den Status einer für alle verbindlichen, rechtlich abgesicherten Lösung erhalten. Dies würde zum einen die Akzeptanz bei allen Beteiligten erhöhen und damit auch eine planvolle Abarbeitung der beschriebenen Fehler und Anforderungen beschleunigen. Die Einführung des Redispatch 2.0 und das damit verbundene Einbinden kleiner und mittlerer Erneuerbarer Energien-Anlagen könnte zumindest auf diese Weise ein zufriedenstellendes Ende finden.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
Weitere Informationen und Dienstleistungen