Welche Auswirkungen hat die im Rahmen des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) vorgesehene Einführung des „Redispatch 2.0“ für Anlagen der Erneuerbaren Energien? In einem Gespräch erläutert unser Kollege Tobias Nitze, Project Manager im Business Development, die anstehenden Änderungen.
Jan Aengenvoort: Was unterscheidet den für Oktober 2021 anvisierten Redispatch 2.0 von dem heutigen Redispatch?
Tobias Nitze: Zum einen wird die Einführung des Redispatch 2.0 dazu führen, dass mehr Akteure eine Verschiebung ihrer geplanten Stromproduktion zur Vermeidung von Netzengpässen vornehmen werden (müssen) als heute. Momentan sind es nur konventionelle Kraftwerke, die eine solche Verschiebung auf Basis von Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) umsetzen. Zukünftig werden auch Anlagen der Erneuerbaren Energien und KWKG-Anlagen am Redispatch teilnehmen und auch Verteilnetzbetreiber werden eine Rolle im Redispatch erhalten. Das Einspeisemanagement für die nicht planbare Netzengpassbewirtschaftung – wie wir es heute schon kennen – bleibt weitgehend bestehen, aber in das Regelwerk mit integriert. Das Ziel des Redispatch 2.0 ist es also, eine kostengünstigere und diskriminierungsfreie Beseitigung von planbaren und nicht planbaren lokalen und regionalen Netzengpässen zu bewerkstelligen.
Jan: Warum werden eigentlich Anlagen der Erneuerbaren Energien heute nicht zum Redispatch herangezogen?
Tobias: Zum Netzengpassmanagement werden Erneuerbare Energien heute nur herangezogen, wenn sie im Rahmen des Einspeisemanagements (Einsman) abgeregelt werden. Das liegt am Vorrang der Erneuerbaren Energien, der besagt: Erst wenn über das Redispatch alle konventionellen Möglichkeiten erschöpft sind, dürfen Anlagen der Erneuerbaren Energien über Einspeisemanagement abgeregelt werden. Die Anzahl und die Kosten der Redispatchmaßnahmen sind zuletzt stark gestiegen und viele dezentrale Anlagen der Erneuerbaren Energien liegen näher am Netzengpass und können dadurch zielgenauer den Netzengpass auflösen. Das Ziel des Redispatch 2.0 ist die geregelten Mengen vor und hinter Netzengpässen zu reduzieren und damit auch die Kosten im Gesamtsystem zu senken.
Jan: Wie sieht das denn konkret für EE-Anlagen ab Oktober 2021 aus? Sind sie verpflichtet, am Redispatch 2.0 teilzunehmen oder ist die Teilnahme freiwillig?
Tobias: Sie sind verpflichtet und werden auch vergütet im Fall einer Redispatch-Aktivierung. Dies gilt für alle Energieträger der Erneuerbaren Energien und des KWKG, deren Anlagengröße über 100kW an installierter Leistung aufweist. Anlagen mit einer installierten Leistung unter 100kW werden nur hinzugezogen, falls sie bereits heute durch den Netzbetreiber gesteuert werden können. Insgesamt wird der Redispatch 2.0 dazu führen, dass zwar weiterhin konventionelle Anlagen prioritär herangezogen werden, aber nun eben auch alle Erneuerbare-Energien-Technologien, sofern ihre Regelung um den Faktor 10 günstiger sein sollte als die Regelung konventioneller Anlagen. Dies wiederum wird dazu führen, dass der individuelle Standort der Anlage in Relation zum Netzengpass eine höhere Bedeutung bekommt und somit auch Anlagen, die heute keine oder kaum Berührungspunkte mit der Netzengpassbewirtschaftung haben – etwa Photovoltaik und Bioenergie –künftig vermehrt davon betroffen sein werden.
Jan: Wie wird die Anlage im Falle eines Abrufs im Redispatch 2.0 gesteuert? Und mit welchem Vorlauf?
Tobias: Da gibt es zwei Modelle, die heute diskutiert werden. Es scheint so zu sein, dass sich der Anlagenbetreiber mehr oder weniger in Absprache mit dem Anschlussbetreiber eins der beiden Modelle wird aussuchen können. Im sogenannten Duldungsfall schickt der anweisende Netzbetreiber das Anforderungssignal an die Anlage selbst und steuert die Anlage auch selbst. Im sogenannten Aufforderungsfall schickt der auffordernde Netzbetreiber das Signal an den Einsatzverantwortlichen, in unserem Fall z.B. das Leitsystem des Virtuellen Kraftwerks, und dieser steuert die Anlage anschließend entlang des Signals. Der Direktvermarkter bzw. das Virtuelle Kraftwerk agieren dann als Dienstleister für den Anlagenbetreiber.
Jan: Wie sieht es denn mit der Entschädigung für den Einsatz von Erneuerbaren Energien für den Redispatch 2.0 aus?
Tobias: Der Anlagenbetreiber wird für den Einsatz seiner Anlage zur Netzengpassbewirtschaftung natürlich entschädigt. Die Höhe der Entschädigung soll dabei dem Vergütungsverlust entsprechen. Eine Regelung hat somit keine Nachteile für den Anlagenbetreiber. Bei Direktvermarkern bzw. Bilanzkreisverantwortlichen entsteht aber durch das Redispatch 2.0 ein zusätzlicher Aufwand, bspw. bei der Abrechnung und der Bilanzierung. Im Detail ist noch unklar, ob der Direktvermarkter hierfür auch entschädigt wird.
Jan: Wie fix ist denn die Regulierung schon?
Tobias: Fix ist, dass es ab dem 1. Oktober 2021 einen Redispatch 2.0 unter Einschluss der Erneuerbaren Energien geben wird. Die konkrete Umsetzung wurde in einer BDEW-Branchenlösung sowie einem BDEW-Leitfaden aufgeschrieben. Inzwischen ist nun auch das öffentliche Konsultationsverfahren der Bundesnetzagentur gestartet, sodass Interessierte ihre Anmerkungen bis zum 13. August 2020 einreichen können. Aufgrund der Komplexität des zu schaffenden Systems wird abzuwarten bleiben, ob das Ziel einer Kostenreduktion für die Engpassbewirtschaftung erreicht werden wird.
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