Um den in Teil 1 geschilderten Status Quo an einem Beispiel zu illustrieren, stellen wir uns vor, dass ein großer Chemiekonzern eine Reihe an Chlorelektrolyseuren zur PVC-Herstellung errichten will. Diese Elektrolyseure haben in unserem Beispiel eine Last von rund 20 MW. Der Konzern wird seine Standortauswahl von einer ganzen Reihe an Faktoren abhängig machen: Anbindung an Verkehrswege, Lohnkosten, Gebäudekosten etc.
Er wird jedoch – ebenso wie der Errichter eines neuen Wind- oder Solarparks – einen Faktor nicht berücksichtigen: die von der neuen 20-MW-Last erzeugte Transportproblematik in Verteil- und Übertragungsnetzen und die daraus entstehenden Kosten. Diese Kosten werden wie beschrieben auf die Netznutzungsentgelte verteilt, zum einen auf die anderen Netznutzer im Verteilnetzgebiet, zum anderen über die Wälzung der Redispatch-Kosten auf alle zahlenden Netznutzer. Viel wichtiger aber: Es gibt für den Chemiekonzern keinen marktlichen Anreiz, seine neue Last in ein Netzgebiet zu legen, das mit dieser Last besser umgehen kann als andere Netzgebiete.
Wie ließe sich das Marktdesign anpassen, um Transportengpässe sichtbar zu machen? Wie ließe sich zugleich das Stromsystem entlasten, ohne dass Ordnungseingriffe nötig sind? Wie immer: Ein Blick nach Skandinavien lohnt. So wurde beispielsweise Schweden in vier Marktgebiete („bidding areas“) aufgeteilt, innerhalb derer die Strompreise je nach aktueller Netzsituation unterschiedlich sind. Dies bedeutet, dass die Strompreise in den meisten Fällen zwischen den verschiedenen Preiszonen identisch sind, an Tagen enormer Netzauslastung jedoch variieren können. Ausschlaggebend hierfür sind die Meldungen der Strommarktteilnehmer über die prognostizierte Einspeisung und Entnahme an die Übertragungsnetzbetreiber am Vortag der Lieferung – ganz ähnlich dem sogenannten Fahrplanmanagement im heutigen deutschen Strommarktdesign. Doch während in Deutschland im nächsten Schritt der Redispatch greift, wenn prognostizierte Einspeisung und Entnahme für die Stromnetze nicht zu bewältigen sind, wird in Schweden der Strompreis für das die Überlastung auslösende Marktgebiet angepasst. Durch diese Anpassung des Strompreises werden die Akteure angereizt, ihre geplante Stromproduktion bzw. -entnahme anzupassen, bis das Verteilungsproblem gelöst ist.
Ein Rechenbeispiel: In Bidding Area A melden die Stromproduzenten für den Folgetag eine Einspeisung von 1000 MW an, die Stromabnehmer jedoch nur eine Entnahme von 800 MW. Die Übertragungsnetzbetreiber können über ihre Kuppelstellen 100 MW problemlos aus Bidding Area A in Bidding Area B exportieren. Die restlichen 100 MW können nicht transportiert werden. Nun sinkt der Strompreis in Bidding Area A solange, bis – stark vereinfacht gesagt – entweder die Produzenten in Bidding Area A auf die Produktion von 100 MW zu dem nun gesunkenen Preis verzichten oder die Stromabnehmer in Bidding Area A zusätzliche 100 MW zu dem nun gesunkenen Preis abnehmen. Im umgekehrten Szenario steht in Bidding Area B zu wenig Strom zur Verfügung und der Strompreis steigt dort, bis entweder mehr Stromproduzenten zusagen, zum gestiegenen Preis mehr Strom zu produzieren oder mehr Stromabnehmer zusagen, zum gestiegenen Preis weniger Strom auszuspeisen als prognostiziert.
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Nehmen wir an, dass der Chemiekonzern in unserem Beispiel seine Elektrolyseure in Schweden plant: Die Frage nach der Preiszone, in der das Werk am günstigsten an Strom käme, würde plötzlich eine Rolle in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation spielen. Und da der Strompreis in Bidding Area A niedriger ist als in Bidding Area B, wäre es zumindest wahrscheinlicher, dass der Chemiekonzern sein neues Werk in Bidding Area A baut und somit die angespannte Netzsituation in Bidding Area B nicht weiter verschärft. Das Resultat ist einfach: Zusätzlicher Netzausbau wird verhindert. Oder zugespitzt: Während Deutschland noch über die gerechte Verteilung von zusätzlichen Netzausbaukosten diskutiert, werden diese in Schweden bereits so gering wie möglich gehalten. Und wenn auch in Schweden neue Transportleitungen errichtet werden müssen, erleichtert das Preiszonenmodell die Bürgerakzeptanz, da eine neue Transportleitung den Strompreis direkt sinken lässt – gut für alle Netznutzer in der von dem Preisnachlass betroffenen Preiszone.
Im dritten Teil der Serie möchten wir die Vor- und Nachteile des vorgestellten Preiszonenmodells beleuchten, schauen Sie vorbei…
Fotonachweis: Mike Jennings
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