Die Energiewende stellt klassische Vorstellungen von Stromerzeugung und -verbrauch auf den Kopf. Denn volatile Energieträger wie Wind und Solar spielen nicht nach den Regeln der alten Energiewirtschaft. Sie produzieren nicht nach Fahrplan, sondern müssen dann genutzt werden, wenn sie zur Verfügung stehen. In diesem Szenario verändert sich auch die Rolle industrieller und gewerblicher Stromverbraucher.
Im Interview erläutern Hans-Joachim Röhl von Next Kraftwerke und Aaron Gerdemann von AVAT wie Unternehmen durch intelligentes Lastmanagement die Energiewende voranbringen und gleichzeitig ihre Energiekosten senken können.
Verena Dubois: Wie können Unternehmen dazu beitragen, die schwankende Einspeisung von Wind und Solar abzufedern und so das Stromnetz zu stabilisieren?
Hans-Joachim Röhl: Indem sie ihre Verbrauchsprozesse wirtschaftlich planen und am aktuellen Stromangebot ausrichten: Stromverbrauchshöhepunkte werden in Zeitfenster verschoben, in denen Strom reichlich vorhanden ist. So können Unternehmen effektiv dabei helfen, Netzengpässe zu vermeiden. Das Aufspüren von Flexibilität im Stromverbrauch in Industrie und Gewerbe ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu 100 % erneuerbarer Energieversorgung.
Verena Dubois: Auch wenn Unternehmen sicher gerne einen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten, denken sie doch in erster Linie wirtschaftlich. Lohnt sich Lastmanagement finanziell?
Hans-Joachim Röhl: Wenn Energie reichlich vorhanden ist, sind auch die Strombörsenpreise günstig. Bei einem geringen Stromangebot hingegen schnellen die Preise in die Höhe. Wenn Unternehmen ihre Verbrauchsprozesse von den teuren in die günstigen Zeitfenster verlagern, können sie ihre Energiekosten also erheblich senken. Wieviel Einsparpotenzial besteht, hängt von den Prozessen in den Unternehmen ab. Es muss individuell betrachtet werden, ob die Erlöse aus einem Lastmanagement im positiven Verhältnis zur Logistik im Unternehmen stehen und mit den Produktionsprozessen in Einklang gebracht werden können. Es gibt aber zahlreiche Prozesse, bei denen Lastmanagement sehr gut funktioniert.
Verena Dubois: Welche Prozesse eignen sich denn für DSM und welche Anforderungen müssen Unternehmen erfüllen?
Aaron Gerdemann: Prinzipiell eignen sich alle energieintensiven, zeitlich variablen Produktionsprozesse. Die zeitliche Variabilität ist zumeist bereits durch einen oder mehrere vorhandene Speicher gegeben. In diesem Zusammenhang sind als Speicher, neben Wärme-, Kältespeicher und Batterien, auch Lager, Förderstrecken, Gebäudehüllen, Materialsilos, Belebungsbecken etc. zu betrachten.
Verena Dubois: Wie wird denn sichergestellt, dass es durch den Lastwechsel nicht zu Störungen bei den Produktionsprozessen kommt?
Aaron Gerdemann: In unserem dezentralen Ansatz bildet genau diese Vorgabe die Grundlage aller Optimierungen. Da es in keiner Situation zu Störungen im Produktionsprozess kommen darf, werden vorab Produktionsvorgaben, Betriebs- und Randbedingungen in die Optimierungsläufe einbezogen, der Produktionsplanung vorgelegt und final auch vom Verantwortlichen entschieden, wie die Anlagen gefahren werden.
Verena Dubois: Wie genau wird ein Einsatzplan erstellt? Wie viel Aufwand bedeutet die Umsetzung von DSM für die Unternehmen?
Aaron Gerdemann: Wirtschaftliche, technische und prozessbedingte Randbedingungen, aber auch Parameter wie Personal-, Wartungs- und Materialkosten werden einmalig oder vor jedem Produktionslauf festgelegt. Mittels KI-gestützter Prognosen generiert der AVAT Optimierungs-Algorithmus eigenständig Fahrplanvorschläge. Der Produktionsverantwortliche kann diese systemgestützten Vorschläge direkt akzeptieren oder zunächst verändern und nach einem weiteren Optimierungsdurchlauf dann final freigeben.
Verena Dubois: Wie wird dabei der Datenschutz gewährleistet?
Aaron Gerdemann: Mit unserem dezentralen Ansatz bleiben alle Daten und kritischen Informationen im Unternehmen. Die gesamte Optimierung erfolgt autark direkt vor Ort. Auf die externe Datenkommunikation mit Dritten oder Cloud-Speicherung kann komplett verzichtet werden. Ein entscheidender Vorteil im Vergleich zu anderen Lösungen, beispielsweise in Bezug auf hochsensible Produktions- und Personaldaten.
Verena Dubois: Warum haben sich AVAT und Next Kraftwerke entschieden, gemeinsam DSM-Lösungen anzubieten? Worin liegt der Mehrwert für den Kunden?
Aaron Gerdemann: Eine nachhaltigere Produktion steht oftmals in Konflikt mit finanziellen Interessen von Unternehmen. Beim Lastmanagement gewinnen alle: die Produktionsziele und die Energiewende. AVAT und NEXT haben dazu Lösungsansätze entwickelt, die sich ideal ergänzen und die jeweiligen Kernkompetenzen vereinen. Schwerpunkt von AVAT sind Steuerungen, Anlagen und Systeme zur Optimierung von Prozessen hinsichtlich Energieerzeugung und -verteilung. NEXT ist der Spezialist für die Energievermarktung an den verschiedenen Handelsmärkten. Mit der Kooperation von AVAT und NEXT ist eine durchgängige Lösung entstanden, die für Industrieunternehmen einen maximalen wirtschaftlichen Nutzen mit DSM generiert und gleichzeitig ein spürbarer Schritt in Richtung Green Company ist.
Verena Dubois: Wie sieht der Markt für DSM momentan aus und welche Entwicklungen sind zukünftig zu erwarten?
Hans-Joachim Röhl: Die Strombörsenpreise sind in den vergangenen Monaten gestiegen. Aber auch die Preisschwankungen im Intraday-Handel haben zugenommen. Zwischen einzelnen Viertelstunden schwankt der Preis oftmals im zweistelligen Eurobereich. Für Unternehmen wird es deshalb immer interessanter eine Analyse der Prozesse im Unternehmen vorzunehmen und sich dem Lastmanagement zuzuwenden. Dabei gibt es je nach Flexibilitätspotenzial unterschiedliche Varianten: von wenigen festen Zeitzonen pro Tag bis hin zu einer dynamischen Anpassung des Produktionsverlaufs an den Strompreisverlauf. Mit einer solchen DSM-Strategie lassen sich bis zu 30 Prozent Einsparungen auf den Energiepreis erzielen.
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