Es ist Freitag, der 14. August. Ein extrem heißer und trockener Tag in Kalifornien und der Westküste der USA. Und etwa 400.000 Menschen sind ohne Strom, da der unabhängige Netzbetreiber, CAISO (California Independent System Operator), gezwungen war in seinem Versorgungsgebiet den Strom abzustellen.
Diese sogenannten Rolling Blackouts waren das letzte Mittel, um einen totalen Kollaps des Stromsystems zu verhindern. Obwohl der Umfang und die Dauer der kontrollierten Stromabschaltungen auf einige Stunden am 14. und 15. August begrenzt blieben, zeigte diese Situation, unter welch immensem Stress das Stromsystem in Kalifornien stand.
Dr. Fereidoon Sioshansi, Präsident des in San Fransisco sitzenden Unternehmens Menlo Energy Economics schätzt die Geschehnisse in Kalifornien ein.
Jan Aengenvoort: Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen mit uns über die jüngsten Geschehnisse im Stromnetz von Kalifornien zu sprechen. Können Sie kurz erklären, was genau passiert ist und warum?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Während der vor kurzem stattfindenden Hitzewelle, die den gesamten Westen der USA erfasste, musste Kaliforniens unabhängiger Systembetreiber (CAISO) am Freitag, dem 14. August, auf kontrollierte Lastabwürfe (Rolling Blackouts) zurückgreifen. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich am folgenden Tag, dem 15. August.
Jan Aengenvoort: Wie viele Haushalte waren von den Stromabschaltungen betroffen?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Um das Netz vor dem totalen Zusammenbruch zu bewahren, ordnete die CAISO an, dass die drei größten Versorgungsunternehmen des Bundesstaates - Pacific Gas & Electric Co (PG&E), Southern California Edison Co (SCE) und San Diego Gas and Electric Co (SDG&E) - während des Notfalls den Strom für mehr als 410.000 Haushalte und Unternehmen jeweils für etwa eine Stunde abschalteten. CAISO führte am Samstagabend einen zweiten, aber kürzeren Lastabwurf durch, der mehr als 200.000 Kunden vom Netz nahm. Die Versorgungsunternehmen teilten ihren Kunden jedoch mit, dass die Stromabschaltungen nicht ihre Schuld wären, sondern die Schuld von CAISO.
Jan Aengenvoort: Welche Maßnahmen ergriff der Netzbetreiber, um die Situation zu entschärfen?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Wie so oft bei solchen Notfällen gab es zu dem Zeitpunkt, an dem der CAISO erkannte, dass die verfügbare Kapazität zur Neige ging, keine Zeit mehr. Die einzige und letzte Möglichkeit war es etwas Last durch kontrollierte Stromabschaltungen abzuwerfen, um die Stabilität des Netzes zu erhalten.
Jan Aengenvoort: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Belastung des Netzes?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Auf Anordnung des Gouverneurs wird der Vorfall derzeit untersucht. Danach wissen wir mehr darüber, was warum schiefgelaufen ist und wer die Schuld dafür trägt. Nach dem, was wir aktuell wissen, sind einige Erdgaskraftwerke, die die Spitzenlast decken sollten, unerwartet vom Netz gegangen und/oder konnten nicht wie geplant betrieben werden. Dies hat zu den Engpässen beigetragen. Die nachstehende Tabelle von der Website der CAISO zeigt genau, wie prekär die Angebots- und Nachfragesituation sogar noch am Montag danach war.
Verfügbare Ressourcen zur Deckung der Nachfrage/td> | 51.046 MW |
Erwartete Spitzennachfrage | 49.504 MW |
Freie Kapazität | 1.542 MW; 3,1% der Spitzennachfrage |
Die höchste CAISO Nachfrage jemals | 50.270 MW am 25 Juli 2006 |
Datengrundlage: Caiso
Jan Aengenvoort: Was können andere Länder oder Regionen aus den Vorfällen in Kalifornien lernen?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Es liegt auf der Hand, dass jedes Mal, wenn es einen Vorfall dieser Art gibt, jeder eine Menge daraus lernen kann, auch wenn die Umstände der CAISO einzigartig sind. Obwohl wir derzeit noch nicht alle Details kennen, ist die wichtigste Lektion für CAISO vermutlich, dass die Sonne am Ende des Tages untergeht, während der Spitzenbedarf erst einige Stunden später eintritt. Ausreichend Last in diesem kritischen Zeitraum (dargestellt im Hals der unten abgebildeten kalifornischen "Entenkurve") bereitzustellen, ist für CAISO eine Herausforderung, seit sie die Existenz der "Entenkurve" im Jahr 2012 bekannt gegeben hat.
Normalerweise füllt CAISO die Lücke, nachdem die Sonne untergegangen ist und die PV nicht mehr einspeist, indem sie auf Erdgaskraftwerke für die Deckung der Spitzenlast sowie auf Importe aus den Nachbarstaaten zurückgreift. Doch in diesem kritischen Fall gab es offenbar Probleme bei den Erdgaskraftwerken und die Nachbarstaaten hatten keinen überschüssigen Strom zu verkaufen, weil sie selbst mit der Hitzewelle zu kämpfen hatten. CAISO ist viel zu abhängig von der Sonnenenergie - die nach Sonnenuntergang nicht mehr zur Verfügung steht. Der Netzbetreiber braucht mehr Wind, mehr Geothermie, mehr Wasserkraft, mehr Biomasse und Biogas sowie weit mehr Speicher. Mehr Erdgaskraftwerke hingegen sind in Kalifornien umstritten, da der Bundesstaat bis 2045 zu 100% dekarbonisiert sein will. Außerdem muss CAISO Flexibilität in der Nachfrage (Demand Response) aufbauen - was durch Tarife in Echtzeit (time-of-use) und eine dynamische Preisgestaltung erreicht werden kann. Die Preise auf dem Großhandelsmarkt schnellten während des Vorfalls auf 1.500 US-Dollar/MWh in die Höhe, während die große Mehrheit der Kunden aufgrund ihrer Pauschaltarife sich nicht an solche Preisspitzen anpassten.
Jan Aengenvoort: Glauben Sie, dass diese Vorfälle die Energiepolitik in Kalifornien oder sogar in den USA in der kommenden Zeit beeinflussen werden?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Die Befürworter der grünen Agenda in Kalifornien drücken die Daumen, dass das Licht an bleibt und CAISO in naher Zukunft weitere Rückschläge überstehen wird. Wenn die Lichter für längere Zeit wieder ausgehen, werden die Gegner der Energiewende in der Lage sein, den Anstieg der erneuerbaren Ressourcen in der Energieerzeugung als Ursache des Vorfalls verantwortlich zu machen - was eindeutig NICHT der Fall war. Aber es ist ganz natürlich, dass die Kritiker eher die Variabilität der erneuerbaren Erzeugung als die mangelnde Vorbereitung der CAISO als Grund für den Fast-Blackout nennen werden.
Jan Aengenvoort: Was können Sie uns noch über die jüngsten Geschehnisse sagen?
Dr. Fereidoon Sioshansi: Unter diesem Link veröffentlichen wir weitere Einzelheiten, bis die Ergebnisse der offiziellen Untersuchung da sind.
Fereidoon Sioshansi ist Präsident von Menlo Energy Economics, einem Beratungsunternehmen mit Sitz in San Francisco, Kalifornien, und hat über 35 Jahre Erfahrung im Stromsektor.
Er berät inländische und internationale Kunden in Bezug auf Strategien zur Anpassung auf den raschen Wandel der Energiewirtschaft, darunter Energieversorger, energieintensive Industrie, Innovatoren, Startups, sowie Regulierungsbehörden und politische Entscheidungsträger.
Dr. Sioshansi ist Herausgeber und Verleger des EEnergy Informer, eines monatlich erscheinenden, international verbreiteten Newsletters, der nun seit über 30 Jahren erscheint.
Seine Berufserfahrung umfasst Tätigkeiten bei Southern California Edison Co. (SCE), Electric Power Research Institute (EPRI), NERA und Global Energy Decisions.
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