Wer den Trading Floor von Next Kraftwerke betritt, sieht erst einmal deutlich mehr Monitore als Menschen. Mindestens vier, manchmal sogar acht Bildschirme sind um die Energiehändlerinnen und Energiehändler gruppiert. Konzentriert verfolgen diese das Geschehen auf den Screens: Börsenkurse, Einspeisekurven, Marktinfos, Wetterberichte und Anlagenfahrpläne. Zahlreiche Informationen gilt es im Blick zu halten, zu priorisieren und auszuwerten, denn die so gewonnenen Erkenntnisse bestimmen maßgeblich die Handelsaktivitäten der Energiehändlerinnen und Energiehändler an den europäischen Strombörsen.
Julia Schleper ist Energiehändlerin bei Next Kraftwerke und arbeitet seit zehn Jahren im Team. Ihr Job ist der kurzfristige Stromhandel: „Für mich sind vor allem die Strombörsen EPEX SPOT mit Sitz in Paris und Nordpool in Oslo relevant. Hier werden kurzfristig Strommengen im Day-Ahead und Intraday-Handel verkauft und gekauft“, erklärt Julia.
Tagesablauf und Arbeitsschritte im Stromhandel werden maßgeblich vom zeitlichen Rhythmus des Day-Ahead- und Intraday-Handels bestimmt. Für den Day-Ahead-Markt müssen bis 12 Uhr mittags die Mengen und die Preise an der Börse definiert werden, zu denen die Trader_innen den Strom vermarkten wollen. Beim morgendlichen Meeting tauscht sich das Team über mögliche Faktoren aus, die die Preisfindung im Energiehandel beeinflussen. Dabei geht es hauptsächlich um die Frage: „Hat sich gegenüber der Datenlage des Vortages etwas fundamental geändert, was den Markt beeinflussen könnte?“ Als Direktvermarkter im Bereich Erneuerbare Energien handelt Next Kraftwerke sehr viel Strom aus PV- und Windkraftanlagen, zuverlässige Wetterprognosen sind deshalb außerordentlich wichtig. Ein Meteorologe nimmt daher täglich per Videocall an den Meetings teil. Gemeinsam werden die Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) mit verschiedenen Quellen und Wettermodellen verglichen. Man schätzt dabei insbesondere Risiken für Abweichungen von der prognostizierten PV- und Windeinspeisung ab.
„Unsere eigenen Analysen und die Informationen, die wir aus unserem Wetter-Call haben, fließen in unsere Day-Ahead-Vermarktung ein. Mittags um 12 Uhr geben wir unsere Mengen und die Preise, zu denen wir unseren Strom verkaufen wollen, an der Börse ab“, erläutert Julia die Arbeitsschritte des Jobs. Die Börse matcht die Mengen und Preise und etwa eine Stunde später erfährt Julia, welche Preise für ihre Gebote realisiert werden konnten. Anschließend erfolgt der Fahrplanversand an die ÜNBs. Die Fahrpläne beinhalten Angaben darüber, wie viel Strom die Anlagen aus dem Pool von Next Kraftwerke zu welcher Stunde des nächsten Tages in das Stromnetz einspeisen.
Ab 15 Uhr beginnt der Intraday-Handel für den nächsten Tag – und damit nimmt der Energiehandel noch einmal richtig an Fahrt auf. Anders als beim Day-Ahead-Handel wird hier zusätzlich im 15 Minuten-Takt Strom gekauft oder verkauft. Eine Challenge für die Stromhändlerinnen und Stromhändler: Denn sie sind nun gefordert, sich kontinuierlich über alle Ereignisse zu informieren, die unmittelbar Einfluss auf den Markt und die Preise nehmen könnten. Hierzu checkt das Team Angaben über Last, Stromverbräuche, Preisübersichten, Infos über die Einspeisungen in den Regionen und natürlich Livedaten von den Kundenanlagen. Analytische Fähigkeiten sind jetzt ebenso gefragt wie die Fähigkeit, aus einer Vielzahl von Daten und Quellen Gesetzmäßigkeiten und Muster zu erkennen, um daraus Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen zu treffen. „Nicht immer ist die Situation dabei absolut klar. Daher müssen wir Entscheidungen fällen können, auch wenn die aktuelle Situation mit Unsicherheiten gespickt ist. Man kann dabei auch danebenliegen, aber am nächsten Tag wendet sich das Blatt meistens wieder“, beschreibt Julia die Herausforderungen ihres Jobs.
Outage-Übersichten liefern beispielsweise Informationen, wo gerade Kraftwerke oder Interkonnektoren ausfallen. „Fällt eine solche Grenzkuppelstelle zwischen Ländern aus, kann kein Strom zwischen den betreffenden Ländern hin- und hergeschoben werden. Das hat sofort Auswirkungen auf Liquidität und Preise in den einzelnen Ländern“, erläutert Julia, die in ihrem Job als Energiehändlerin aktuell den Stromhandel für Frankreich, die Niederlande und Belgien verantwortet.
Auch bei den Intraday-Aktivitäten spielen zuverlässige Wetterprognosen eine wichtige Rolle. „Unsere Prognosen sind schon sehr gut, aber natürlich können im Tagesverlauf unerwartete Wetterverhältnisse in Regionen auftauchen. Wir sind dann gefordert, die letzte Gewitterwolke zu antizipieren und entsprechend zu handeln“, so Julia. Doch nicht jedes Phänomen lässt sich vorhersehen: „Niemand hatte vor Jahren die Auswirkung von Saharastaub auf der Kette. Alle fragten sich, warum trotz des schönen Wetters die PV-Einspeisung so gering war“, berichtet die Traderin.
Ein kleines Drehbuch fürs Trading, so kann man sich die Base Story vorstellen: In Informationsquellen unterschiedlichster Art sucht Julia nach den wichtigsten Einflussfaktoren auf den Energiehandel. Aus diesen entwickelt sie eine Art grundlegende Story, die ihr Handeln an der Börse bestimmt und sie bei der Suche nach dem fairen Marktpreis unterstützt. „Aktuell stehen die größten Einflussfaktoren und damit die Base Story fest: Wir haben viel Sonne und Hitze und durch den Ukraine-Krieg eine Energieknappheit“, erläutert Julia. Änderungen in der Prognose führen sofort zu großen Preiseffekten. Dies hat zur Folge, dass Next Kraftwerke und andere Direktvermarkter zügig reagieren müssen. Julias Job ist es nun, schneller zu sein als die Konkurrenz, um den besten Preis an den Energiemärkten zu erzielen.
Diesen Sommer war die Marktsituation für das Team besonders herausfordernd: Während langanhaltender Hitzephasen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Atommeiler gedrosselt oder sogar heruntergefahren werden müssen. Das kann zwei Gründe haben: Zum einen gibt es aufgrund sinkender Fluss-Pegelstände nicht mehr genug Kühlwasser. Zum anderen dürfen AKWs kein Kühlwasser in die Flüsse zurückleiten, um diese nicht noch stärker aufzuheizen. „In diesem Fall müssen wir den Markt besonders gut beobachten, um auf den unvorhergesehenen Bedarf des Netzbetreibers reagieren zu können. So unterstützen wir die Stabilität des Stromsystems“, erklärt Julia.
Beim Intraday-Handel geht es aber nicht nur um lukrative Erlöse, die Handelsaktivitäten wirken sich auch positiv auf die Netzstabilität und damit auf die Versorgungssicherheit aus. Die Stromhändlerinnen und Stromhändler erkennen systemische Fehler und können kurzfristig reagieren. Gibt es beispielsweise Prognosefehler, sorgen sie im Intraday-Handel dafür, dass der Fehler wieder ausgeglichen wird. Da kurzfristig – im 15-Minuten-Takt – Strom gekauft oder verkauft werden kann, haben Energiehändlerinnen und Energiehändler die Möglichkeit, sehr schnell auf Veränderungen – wie beispielsweise auf sich ändernde Wetterverhältnisse und Einspeiseprognosen – mit entsprechenden Handelsaktivitäten zu reagieren. Dies hat Einfluss auf das Stromsystem. „Als Shortterm-Trader sind wir für die Netzstabilität unerlässlich und durch unsere Transaktionen können wir den Einsatz kostspieliger Regelenergie vermeiden“, erläutert Julia. Darüber hinaus wird durch den Intraday-Handel der Bilanzkreis von Next Kraftwerke ausgeglichen. Das heißt, treten am Tag selber Fehlmengen oder Überschüsse auf, die beim Day-Ahead Handel nicht antizipiert werden konnten, werden diese im Intraday-Handel durch den Zu- oder Verkauf von Strommengen wieder ausgeglichen und der Bilanzkreis geglättet. Auf diese Weise verringert das Trading-Team die Ausgleichsenergiekosten. Denn für jede Abweichung von Prognose und Einspeisung, die noch nach dem Intraday-Handel besteht, fallen Ausgleichsenergiekosten an. Diese können mitunter erheblich sein.
Ihre Berufswahl hat Julia noch nie bereut: „Der kurzfristige Handel am Spotmarkt ist für mich mehr als ein spannender Job – mit unserem Tradingteam arbeiten wir aktiv an der Energiewende mit. Denn wir tragen dazu bei, dass EE-Anlagen bedarfs- und marktgerecht produzieren und ein nachhaltiges Stromsystem funktionieren kann.“
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