Im Juni 2023 floss der erste Ökostrom aus dem Windpark Hollandse Kust Noord in das niederländische Stromnetz. Mit der Inbetriebnahme der ersten Turbinen begannen Eneco und Shell, ihren Anteil vom Grünstrom zu handeln. Als 100-prozentiges Shell-Unternehmen ist es Aufgabe von Next Kraftwerke, einen Teil der produzierten Mengen auf den Kurzfristmärkten – dem Day-Ahead- und Intraday-Markt – zu platzieren. Wir hatten die Gelegenheit mit Elias De Keyser zu sprechen, einem Energieexperten, der tief in das HKN-Projekt involviert ist. In dem Interview liefert uns Elias einen Einblick in die Strommärkte und welche verschiedenen Marktrollen Next Kraftwerke erfüllt.
Antje Golbach: Wie funktioniert der Handel an den Strombörsen und welche Rolle spielen der Day-Ahead- und Intraday-Markt?
Elias De Keyser: Im Allgemeinen bringen die Strombörsen, wie die EPEX (European Power Exchange), Stromanbieter und -käufer zusammen. Jeder versucht natürlich, einen für sich günstigen Handel abzuschließen. Die Strombörse hat aber auch noch eine andere wichtige Funktion: Ihr Preissignal regelt, wie viel Strom produziert und – wenn auch in geringerem Maße – wie viel verbraucht wird. Diese Angebots- und Nachfragedynamik ist wichtig, um das Netz stabil zu halten und regionale Unterbrechungen oder einen möglichen Stromausfall zu vermeiden. In diesem Zusammenhang spielt der Handel auf den Day-Ahead- und Intraday-Märkten eine besonders wichtige Rolle, da er nah am Zeitpunkt der Stromlieferung stattfindet.
Wenn wir uns den Stromhandel für die produzierten Mengen des HKN-Windparks genauer anschauen, sieht der Ablauf folgendermaßen aus: Wir erhalten von Shell verschiedene Day-Ahead-Erzeugungsprognosen. Next Kraftwerke wählt auf Basis seiner Handelserfahrung die plausibelste Prognose aus und verkauft den Strom anschließend auf dem Day-Ahead-Markt. Gibt es am Liefertag Abweichungen zwischen der prognostizierten und tatsächlichen Strommenge, korrigieren wir diese im Intraday-Handel. Auf diese Weise vermarkten wir den produzierten Strom gewinnbringend und tragen gleichzeitig dazu bei, die Stabilität des Stromnetzes aufrechtzuerhalten.
Antje Golbach: Ist es normal, dass prognostizierte und tatsächlich produzierte Strommenge voneinander abweichen?
Elias De Keyser: Ja, das ist normal. Das Windaufkommen kann sich rasant und unerwartet ändern, so dass die Stromerzeugung eines Windparks schnell steigen oder fallen kann. Der Intraday-Handel gibt uns hier die Möglichkeit, auftretende Prognosefehler auszugleichen. Darüber hinaus hat Shell langjährige Erfahrung mit Stromprognosen für Offshore-Windprojekte und ist in der Lage, gute Prognosen zu erstellen, die nah an der tatsächlichen Stromeinspeisung liegen.
Antje Golbach: Next Kraftwerke ist auch Bilanzkreisverantwortlicher für den HKN-Windpark. Kannst du uns erläutern, welche Aufgaben mit dieser Rolle einhergehen?
Elias De Keyser: Ja, Next Kraftwerke ist der Bilanzkreisverantwortliche (BKV) für den gesamten HKN-Windpark. Das bedeutet, dass wir auf 15-Minuten-Basis – das ist die Ausgleichszeitspanne in den Niederlanden – sicherstellen müssen, dass ein Gleichgewicht zwischen den von uns verkauften Mengen und den tatsächlich ins Netz eingespeisten Mengen besteht. Als BKV ist es auch unsere Aufgabe, im Rahmen der europäischen GLDPM-Regeln (Generation and Load Data Provision Methodology) Produktionsprognosen an den Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT zu senden. Da eine der Hauptaufgaben des ÜNB darin besteht, eine zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten, benötigt er möglichst genaue Informationen über die Einspeisung und Abnahme der größten Netzanschlüsse. Dies ist besonders wichtig für große Kraftwerke wie den HKN-Windpark.
Antje Golbach: Was passiert, wenn so viel Strom produziert wird, dass die Preise ins Minus fallen?
Elias De Keyser: Wenn an der niederländischen Strombörse mehr Strom verkauft als nachgefragt wird, sinken die Preise ins Negative. Das bedeutet, dass die Käufer für den Stromverbrauch bezahlt werden. Diese Situation ist für Stromerzeuger natürlich von großem Nachteil: Sie müssen für die Stromeinspeisung bezahlen. Daher ist es wirtschaftlich vorteilhaft, die Leistung eines Windparks reduzieren zu können. Dies wird als Abregelung oder Curtailment bezeichnet. Das Curtailment wird dann eine besonders wichtige Rolle spielen, sobald der HKN-Windpark vollständig in Betrieb ist. Natürlich wollen wir die Abregelung Erneuerbarer Energien so weit wie möglich vermeiden. Da jedoch der Markt und die Infrastruktur noch nicht flexibel genug sind, um der schwankenden Produktion der Erneuerbaren Energien zu folgen, ist dies manchmal die einzig sinnvolle Option.
Bei Next Kraftwerke haben wir schon vor mehr als einem Jahrzehnt erkannt, dass wir mehr Flexibilität in den Stromnetzen benötigen, um den Anteil Erneuerbarer Energien deutlich zu erhöhen. Unser Virtuelles Kraftwerk hat seitdem große Mengen an Flexibilität in Europa geschaffen. Aber wir brauchen noch mehr davon, und dies kann beispielsweise durch die Integration von mehr Energiespeichern, durch den Ausbau der Netzinfrastruktur auf nationaler und internationaler Ebene und durch mehr Demand Response-Möglichkeiten erreicht werden.
Antje Golbach: Gibt es weitere Aufgaben oder Marktrollen, die Next Kraftwerke für HKN erfüllt?
Elias De Keyser: Ja, sobald der Windpark vollständig in Betrieb genommen ist, werden wir in unserer Rolle als Balancing Service Provider (BSP) Regelenergie für TenneT anbieten. Tritt im niederländischen Stromnetz ein unvorhergesehenes Ungleichgewicht auf, kann TenneT unsere angebotene Flexibilität aktivieren, um dieses auszugleichen und so eine stabile Netzfrequenz zu sichern. Auf diese Weise trägt der Windpark HKN nicht nur dazu bei, den niederländischen Strombedarf emissionsfrei zu decken, sondern unterstützt auch den sicheren Netzbetrieb von TenneT.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
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