So viel ist sicher: Die Energiewende wird zu einem großen Teil auf fluktuierende Energieträger wie Wind- und Solarenergie setzen. Das bedeutet, dass wir die Art und Weise überdenken sollten, wie wir bislang die Infrastruktur unserer Stromversorgung betrachtet haben.
Heute basiert unser Stromsystem primär auf wenigen Stromproduzenten, die in einem recht statischen und zentralistisch organisierten System für unsere Stromversorgung und die Verteilung verantwortlich sind. Das muss zukünftig anders werden: Flexibilität ist das zentrale Stichwort, wenn im Zuge der Energiewende bis zum Jahr 2020 der Anteil Erneuerbarer Energien 35 Prozent am Gesamtstrommix betragen soll. Deshalb gilt es, Wege zu finden, die für eine zeitliche Harmonisierung von Stromerzeugung und Stromverbrauch sorgen. Diese Maßnahmen nennt man Flexibilitätsoptionen.
Welche Flexibilitätsoptionen gibt es? Wir sehen folgende Schwerpunkte:
Demand Side Management (auch Laststeuerung) beschreibt die Anpassung der Verbraucherseite an die Energieerzeugung. Das geschieht vor allem durch zwei Dinge: eine preisorientierte Stromentnahme auf Verbraucherseite über variable Stromtarife und durch die Bereitstellung von Regelleistung aus Stromverbrauchsprozessen. Dabei gibt es zwei große Gruppen von Stromverbrauchern: Industrie und Gewerbe sowie Privathaushalte.
Insbesondere der hohe Stromverbrauch durch die Prozesse in der Industrie bietet Hebelpunkte zur Flexibilisierung, die zur Netzstabilisierung über Regelleistungsbereitstellung genutzt werden können. Minimale zeitliche Verschiebungen in den Lastprofilen können theoretisch schnell dabei helfen, Netzfrequenzschwankungen auszugleichen. Hier gilt es, die Forschung für Flexibilisierungspotentiale auf Seiten der Industrie weiter voranzutreiben beziehungsweise finanzielle Anreize zu schaffen, die eine solche Flexibilisierung profitabler gestalten und etwaige Kosten in der Fertigungsverschiebung auffangen. Es kristallisiert sich heute schon heraus, dass bestimmte Industrieprozesse etwa in der Wärme- und Kältetechnik dafür besonders geeignet sind. Auf dem Gebiet der variablen Stromtarife – seit langer Zeit diskutiert – bewegt sich der Markt langsam, woran wir selbst nicht ganz unschuldig sind: Zu sehr lag der Fokus in den vergangenen Jahren auf der Seite der Stromproduzenten – Stromverbrauch wurde im Zuge der Energiewende oft nur unter Energieeffizienzmaßnahmen betrachtet. Hier sollte zukünftig ein großes Augenmerk darauf liegen, industrielle und gewerbliche Stromverbraucher anzureizen, ihre Stromentnahme in solche Stunden oder Viertelstunden zu legen, an denen Strom an der Börse günstig ist – und in den Netzen reichlich vorhanden.
Die Flexibilisierung der Privathaushalte findet sich in der Idee der Smart Grids als Konzept abgebildet. Solche intelligenten Netze zwischen Verbraucher und Erzeuger könnten Last- beziehungsweise Erzeugungsspitzen auf Verteilnetzebene besser prognostizieren und so automatisch für entsprechende Maßnahmen zur Stabilisierung des Netzes sorgen. Der Stand der aktuellen Forschung und Entwicklung deutet darauf hin, dass hier bereits in absehbarer Zukunft neue Wege eingeschlagen werden.
Auch Power-to-Heat-Anlagen können eine signifikante Entlastung der Stromnetze bringen. Die Integration solcher Anlagen in Industrieprozesse oder als Wärmelieferant an Fernwärmenetze lässt sich schon heute gut realisieren. Leider wird diese Flexibilitätsoption bislang noch viel zu wenig genutzt.
Auch manche der Erneuerbaren können mehr zur Stabilisierung der Stromnetze beitragen als weithin angenommen. Insbesondere Bioenergieanlagen (Holzheizkraftwerke, Biogasanlagen, Biomethan-BHKWs) und Wasserkraftanlagen spielen eine wichtige Rolle. Denn sie können ihre Stromproduktion zeitlich verlagern und somit als Puffer für die volatilen Erzeuger Solar und Windkraft agieren. Das Problem: Oft sind sie zu klein, um eigenständig an den Strommärkten zu agieren. Hier hat sich – auch daran sind wir nicht ganz unschuldig – seit 2011 eine lebendige Szene aus Virtuellen Kraftwerken entwickelt. Ein Virtuelles Kraftwerk vernetzt dezentrale Anlagen der Erneuerbaren Energien und stellt die individuell erzeugten Energiemengen gebündelt dem Netz und dem Markt zur Verfügung. Diese Flexibilitätsoption sorgt schon heute für die Stabilisierung der Netze – im Bereich der negativen Sekundärreserve stellt allein unser Virtuelles Kraftwerk Next Pool inzwischen über 15 Prozent des nationalen Bedarfs bereit. Auch an den Strombörsen agieren Virtuelle Kraftwerke, um durch einen bedarfsorientierten (oder börsenpreisgesteuerten) Einsatz der regelbaren Erneuerbaren Energien die Schwankungen von Solar- und Windkraft aufzufangen.
Erdgas-KWK-Anlagen können mit einer eher stromgeführten Ausrichtung ein großes Plus an Netzstabilität bieten. Zwar spielen bei KWK-Anlagen häufig Wärmelieferungsverpflichtungen und andere Wärmerestriktionen eine wichtige Rolle. Sie sind aber jedoch oft nicht so bindend, wie gemeinhin angenommen wird. Deshalb könnten KWK-Anlagen sehr gut dabei helfen, Schwankungen des Stromangebots aufzufangen.
Herkömmliche Kraftwerke mit fossilen Energieträgern werden in nicht allzu ferner Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen (müssen) – auch wenn immer wieder die Forderung laut wird, dass sie aus den unterschiedlichsten Gründen in der Zukunft unabdingbar seien. Auf Kraftwerke mit fossilen Energieträgern zu setzen, ist der falsche Weg. Er würde zudem die strukturellen und finanziellen Anstrengungen der letzten Jahre untergraben, die Energiewende voranzutreiben. Dennoch ist auch uns klar: Wir werden bis 2050 nicht vollständig auf Kraftwerke fossiler Energieträger verzichten können.
Der Bereich, der momentan die wohl größte Beachtung findet, betrifft die Speichermöglichkeiten von Strom. Dabei gibt es bereits einige Möglichkeiten zur Stromspeicherung wie etwa Pump- oder Druckluftspeicher. Zusätzlich gilt es, etwa im Batteriebereich, die Kosteneffektivität weiter zu steigern. In diesem Bereich wird derzeit viel Forschungsarbeit geleistet. Das deutet darauf hin, dass langfristig mit besseren Möglichkeiten zur Stromspeicherung zu rechnen ist. Die Wahrscheinlichkeit ist zudem recht hoch, dass zeitnah leistungsstärkere und effizientere Systeme entwickelt werden, da der Markt Speicherlösungen vehement einfordert.
Strom muss nicht immer Strom bleiben, wenn er nicht gebraucht wird. Eine Möglichkeit, überschüssigen Strom sinnvoll zu nutzen, ist seine Umwandlung in Wärme oder Gase. Neben der bereits erwähnten Power-to Heat-Technologie existiert bereits eine weiter Lösung: Power-to-Gas ist mittlerweile schon in Pilotprojekten aktiv im Einsatz ist, muss aber hinsichtlich der Effizienz noch weiter optimiert werden. Mit dieser Methode lassen sich Stromüberschüsse gut abfangen und in ein leicht speicher- und transportierbares Medium wandeln. Ein Vorteil hierbei ist, dass sich diese Methode nicht auf einen einzelnen speziellen Energieträger beschränkt, sondern sich auch mit Photovoltaik- oder Windkraftanlagen kombinieren ließe. Ganz allgemein lassen sich viele der Entwicklungen in diesem Bereich unter den Begriff Power to X (P2X) fassen.
Üblicherweise werden bilanzielle Mechanismen nicht als Flexibilitätsoptionen angesehen. Aus gutem Grund: Das Bilanzkreismanagement ist doch „lediglich“ der strukturelle Hintergrund, vor dem die (physikalischen) Optionen zur Harmonisierung von Stromproduktion und -verbrauch eingesetzt werden. Doch in den letzten Jahren hat die kurzfristige Vermarktung von Strom so bedeutend zugenommen, dass sie hier nicht unerwähnt bleiben soll. Wurden im Intraday-Handel der EPEX im Jahr 2012 Volumina von 15.757.403 MWh gehandelt, waren es zwei Jahre später bereits 26.382.790 MWh. Immer mehr Strom wird also mit sehr kurzen Vorlaufzeiten gehandelt. Das ist hervorragend. Es zeigt, dass sich immer mehr Marktakteure kurzfristig austauschen und so die bestehenden Flexibilitätsoptionen immer effizienter eingesetzt werden. Denn der kurzfristige Stromhandel selbst bietet über den Intraday-Handel eine sehr gute Möglichkeit für eine höhere Netzstabilität. Denn letztlich ist das Resultat der zunehmenden Glattstellung von Bilanzkreisen über den Intraday-Handel nichts anderes als eine Stabilisierung der Netze durch die optimierte Synchronisierung von Stromerzeugung und -verbrauch. Gezielte Anreize könnten die Marktteilnehmer noch weiter für diese Option sensibilisieren. Bisher bewirtschaften nicht alle Marktteilnehmer ihre Bilanzkreise hundertprozentig auf die Viertelstunde genau – trotz der gesetzlich fixierten Verantwortung genau hierzu. Mit der Verkürzung der Fristen zwischen Auktionierung und Lieferzeitpunkten im Day-Ahead-Markt sowie einer Möglichkeit auch Viertelstunden im Day-Ahead zu handeln, wird eine weitere Flexibilisierung des Marktes vorangetrieben.
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Die meisten – und heute billigsten – Flexibilitätsoptionen zielen auf eine Optimierung des Dispatchs, also des gezielten Einsatzes, von flexiblen Erzeugern oder Verbrauchern ab. Daneben entwickeln sich aber zusehends (teilweise neue) Varianten der Stromspeicherung und der Stromumwandlung. Es wird daher nicht die eine Lösung geben, mit der sich die Vorhaben der Energiewende umsetzen lassen und mit der sich auf die vielzähligen neuen und weitaus komplexeren Anforderungen der „neuen“ Stromversorgung reagieren lässt. Vielmehr wird es eine ausgewogene Mixtur aus verschiedenen Flexibilitätsoptionen werden, die in Zukunft die Versorgungssicherheit herstellen wird. Alles andere zu behaupten, wäre reiner Populismus. Vielmehr ist ein generelles Umdenken gefragt. Man sollte gezielter nach Möglichkeiten suchen, die nicht unbedingt den großen Rundumschlag wagen, sondern eher weitere, kleine Flexibilisierungsoptionen bieten, die an entscheidenden Stellen das notwendige Plus versprechen.
Umfassendes Material zu diesem Thema finden Sie unter Anderem bei diesen Institutionen:
IZES – Transformation des Stromsystems im Spannungsfeld von Teilmärkten und regulatorischem Design
Plattform erneuerbare Energien - Potenziale und Hemmnisse der Flexibilitätsoptionen
Bundesverband Erneuerbare Energien - Möglichkeiten zum Ausgleich fluktuierender Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien
Mehr zu dem Thema Potenziale & Herausforderungen von wärmegeführten KWK-Anlagen finden Sie in unserem Blogbeitrag: Wärmegeführte Anlagen – Chancen für eine flexible Vermarktung
Weitere Hintergrundinformationen zu Power-to-Heat haben wir in dem Blogbeitrag „Power-to-Heat (PtH) und Regelenergie – Was sind Vor- und Nachteile?“ festgehalten
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