Die Erneuerbaren Energien tragen stärker zu ihrer eigenen Integration bei als gedacht und senken die Kosten am Regelenergiemarkt, schreiben Jochen Schwill und Hendrik Sämisch (Next Kraftwerke GmbH) in einem Beitrag zur Tagesspiegel-Debatte zur Flexibilität im Strommarkt.
Um die nächsten 25 Prozent zu integrieren, muss unter anderem die Verbrauchssteuerung von regulatorischen Hemmnissen befreit werden.
Der Status Quo beim Thema Flexibilität im Strommarkt ist schnell umrissen: Es gibt heute genügend flexible Akteure im Stromsystem, um Schwankungen in Stromproduktion und -nachfrage auszugleichen. Und dies, obwohl bereits heute rund 28% des gesamten deutschen Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien stammen. Die Debatte ist ausschließlich auf die Zukunft gerichtet, denn aufgrund des weiteren Zubaus von fluktuierenden Erneuerbaren Energien und des absehbaren Ausscheidens konventioneller Großkraftwerke aus dem System rechnen Experten mittel- bis langfristig mit einer Zunahme des Bedarfs an Flexibilität. Einig sind sich die meisten Experten jedoch auch, dass bis 2020 der Bedarf an Flexibilität schon heute gedeckt ist.
Trotzdem lohnt ein Blick in die nähere Vergangenheit. Wie wurde der gewaltige Zubau an Erneuerbaren Energien in so kurzer Zeit vom System „verdaut“? Interessant ist es, sich in diesem Zusammenhang die Menge an Flexibilität anzuschauen, die wir überhaupt benötigen, um Stromproduktion und -verbrauch in Einklang zu halten. Auf dem Regelenergiemarkt, dem Handelsplatz für kurzfristig benötigte Flexibilität, schreiben die Übertragungsnetzbetreiber genau diese Mengen aus. Und jetzt müssen Kritiker der Erneuerbaren Energien ganz tapfer sein: Lag der Bedarf am 1.12.2007 in Summe bei 11.080 MW, liegt er heute bei 9.547 MW. Was bedeutet das? Trotz des enormen Zubaus an Wind- und Solarkraft ist der Bedarf an Flexibilität gesunken! Eine Erklärung für diese Entwicklung liegt im EEG 2012 begründet. Dort wurden zwei grundlegende Entscheidungen getroffen, die zu einer verbesserten Integration der Erneuerbaren Energien geführt haben.
Zum einen wird Strom aus Erneuerbaren Energien heute von professionellen Stromhändlern viel exakter prognostiziert und vermarktet als zuvor. Dies führt dazu, dass sich am Intraday-Markt der Spotbörse Angebot und Nachfrage vermehrt abstimmen, bevor es überhaupt zum Einsatz von Regelenergie kommt. Abzulesen ist dies unter anderem an der stark gestiegenen Liquidität an eben diesem Intraday-Markt für Strom. In der Praxis bedeutet dies, dass Biogasanlagen ihre Fahrweise verstärkt an stündliche oder gar viertelstündliche Strompreise anpassen. Oder dass eine geänderte Wetterprognose – etwa unerwartet viel Wind oder Sonnenschein – innerhalb von 45 Minuten am Intraday-Markt umgesetzt wird, in unserem Beispiel ein Akteur also ein Kraftwerk herunterfährt.
Zum anderen wurde den Erneuerbaren Energien mit dem EEG 2012 die Möglichkeit eingeräumt, die eigene Flexibilität am Regelenergiemarkt anzubieten. Seitdem haben Virtuelle Kraftwerke, in denen hunderte oder tausende von dezentralen Anlagen der Erneuerbaren Energien vernetzt sind, nicht nur die Anbieterzahl am Markt steigen lassen, sondern auch einen nennenswerten Anteil an der Regelenergiebereitstellung übernommen. Allein über unser Virtuelles Kraftwerk werden inzwischen rund 7% des bundesdeutschen Bedarfs an negativer Sekundärreserve bedient. Kurz gesagt: Die Erneuerbaren Energien regeln heute schon einen Teil der Schwankungen, die sie produzieren, selbst wieder aus. Und ihr Eintritt in den Regelenergiemarkt hat dazu geführt, dass die Kosten für die Vorhaltung von Regelenergie in den letzten sieben Jahren um inzwischen rund 500 Millionen Euro pro Jahr gesunken sind.
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Aber es bleibt viel zu tun. Die nächsten 25% Erneuerbare Energien werden schwieriger. Die bereits erzielten positiven Effekte der Systemintegration lassen sich nicht beliebig fortschreiben. Neue Ansätze sind gefragt und heute leider noch nicht im Marktdesign angekommen: Die Verbrauchssteuerung – das Lastmanagement – ächzt unter regulatorischen Hemmnissen und den heute niedrigen Preisen für Flexibilität. Auch die Integration von weiterer Flexibilität aus Notstromaggregaten für die berühmte Dunkelflaute wird an vielen Stellen unnötig erschwert. Die geschilderten positiven Effekte haben sich auf der Übertragungsnetzebene eingestellt, auf regionaler Netzebene ist hingegen noch viel zu tun, denn Deutschland ist eben keine Kupferplatte, auf der man jede Kilowattstunde Strom problemlos von A nach B transportieren kann. Warum werden Einspeisemanagement, Redispatch und weitere regionale Netzprobleme auf Verteilnetzebene nicht auch über marktliche Instrumente gelöst, wie wir es von der Übertragungsnetzebene kennen? Viele Ideen und vor allem die allgemeine Stoßrichtung des Grünbuchs aus dem Bundeswirtschaftsministerium machen Mut, dass in Zukunft die richtigen Weichen gestellt werden. Bis dahin heißt es: Anpacken und weitermachen mit dem, was heute schon möglich ist.
Dieser Artikel ist zuerst im Juli 2015 im Rahmen der Tagesspiegel-Debatte zur Flexibilität im Strommarkt erschienen. Alle Beiträge der Debatte finden Sie auf den Seiten des Tagesspiegels…
Fotocredit: liebeslakritze, Lizenz: CC BY-SA 2.0
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