Egal, mit welcher Perspektive man die Debatte um die Energiewende betrachtet, egal also, ob es um das möglichst schnelle Erreichen einer Vollversorgung mit 100% Erneuerbaren Energien geht oder um die Sorge vor der Dunkelflaute, ob es um den richtigen Pfad bei der Abschaltung von konventionellen Stromerzeugern oder um das Hochfahren erneuerbarer Technologien geht: Früher oder später landet man erfahrungsgemäß immer beim Thema der Flexibilitätsoptionen.
Was tun wir, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Oder wenn zu viel Energie eingespeist wird oder es kurzfristig zu Abweichungen kommt? In diesem ersten Teil unserer Serie zu neuen Flexibilitätsoptionen beleuchten wir die Rolle von Batterien und neuen Speicherkonzepten für die Energiewende. Doch warum brauchen wir überhaupt mehr Flexibilität? Die Parameter, die heute schon klar sind, lassen sich schnell umreißen. Wenn Steinkohlekraftwerke und Erdgaskraftwerke das Stromsystem eines Tages verlassen, gehen zwei verhältnismäßig flexible Stromerzeuger, die bei Bedarf kurzfristig mehr oder weniger Strom bereitstellen können, vom Netz. Dazu werden zuvor schon mit der Atomkraft und der Braunkohle zwei grundlastfähige Stromerzeuger komplett abgeschaltet worden und durch volatile Erzeuger wie Photovoltaik und Windkraft ersetzt sein, was den Bedarf an Flexibilität im Stromnetz weiter steigen lässt. Das bisherige System aus einem Sockel an grundlastfähigen Kraftwerken, die durch Spitzenlastkraftwerke ergänzt werden, wird es nicht mehr geben. Hinzu kommt, dass in der aufziehenden All-Electric-Society, in der wir mit Strom auch heizen, Auto fahren und Stahl produzieren werden, der Stromverbrauch steigen wird.
An dieser Stelle greift oft ein Reflex, der das Ende des Industriestandorts Deutschland ausruft. Warum eigentlich? Schon heute tragen Erneuerbare Energien mehr als 50% zur Stromversorgung bei, doch Stromausfälle sind noch seltener als Windräder in Bayern. Strommangellagen und damit Rekordstrompreise gab es tatsächlich im letzten Jahr zu beobachten, doch der Grund war keine Dunkelflaute, sondern der Importstopp für russisches Erdgas und die notorische Unzuverlässigkeit der französischen Atommeiler. In den letzten zehn Jahren sind zudem bereits neue Flexibilitätsoptionen in den Energiemarkt eingetreten, allen voran die Bioenergie, aber auch das Lastmanagement von industriellen Stromverbrauchern. Zusätzlich sorgt die fortschreitende europäische Integration von Strommärkten und Stromnetzen für Ausgleichseffekte.
Allein, wird das alles reichen für das neue Stromsystem, in dem Strom grün, garantiert und günstig ist? Die Bundesnetzagentur selbst beziffert den zukünftigen Bedarf an Flexibilität nicht genau, verweist aber klar auf eine zu erwartende erhöhte Volatilität und die Notwendigkeit, neue Flexibilitätspotentiale zu erschließen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme aus dem Jahr 2021 kommt zum Schluss, dass größtenteils neue Flexibilitätsoptionen – stationäre und mobile Batterien, Wärmepumpen, Methanisierung, Power-to-Liquid und Wasserstoffelektrolyse – bei einem vollständig dekarbonisierten Energiesystem im Jahr 2045 je nach Szenario zwischen 274 Terawattstunden (TWh) und 413 TWh an Energie pro Jahr aufnehmen und speichern bzw. in Wärme oder speicherfähige Energieträger wie Wasserstoff umwandeln müssen. Zweifellos ein herkulisches Generationenprojekt!
Welche dieser neuen Technologien wann in welchem Umfang zum Einsatz kommen, um die Lücken zu schließen, die Windkraft und Photovoltaik im Tages- und Wochenverlauf hinterlassen, wird der Strommarkt entscheiden (müssen). Einen wichtigen Beitrag zum Schließen dieser Lücke werden Speichertechnologien leisten - von Stand-Alone-Lösungen bis Behind-the-Meter-Anwendungen. Doch wie stark ist ihre Marktdurchdringung schon und wie hoch ist ihr Potential für die benötigte Skalierung? Und welche Rolle spielen sie bereits in unserem Virtuellen Kraftwerk und somit am Strommarkt?
Seit Mitte der 2010er Jahre lässt sich ein Zuwachs an Lithium-Ionen-Batteriespeichern in Deutschland beobachten, der sich seit Ende des Jahrzehnts massiv beschleunigt. Stationäre Großspeicher sollen zunehmend die Rolle von Großkraftwerken bei Spannung- und Frequenzhaltung übernehmen und zudem untertägige Leistungsanstiege und Leistungsreduktionen von Photovoltaik und Windkraft puffern. Diese Leistungsveränderungen von mehreren Gigawatt an Stromerzeugungsleistung treten innerhalb weniger Viertelstunden oder Stunden auf und würden unabgefedert die Versorgungssicherheit jeden Tag massiv gefährden. Als „Sprinterin“ unter den Flexibilitätsoptionen – schnell auf Tempo und Spezialistin für die Kurzstrecke – eignet sich die Batterietechnologie hervorragend, um diese Gefahr jeden Tag erneut abzuwenden. Gleiches gilt mit Abstrichen auch für Heimspeicher, die zwar primär zur Erhöhung des Eigenverbrauchs von selbst erzeugtem Solarstrom dienen, in sekundärer Nutzung aber auch netzdienlich agieren können.
Zum 1. April 2023 waren in Deutschland 7,1 Gigawattstunden (GWh) an Batteriekapazität aus rund 675.000 stationären Systemen (also ohne Berücksichtigung der Batteriekapazität in Elektroautos) im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur gemeldet. Der Zubau an neuen Batteriespeicherkapazitäten nimmt seit 2019 stark zu: Zum 1. April 2019 waren nur knapp über 1 GWh an stationären Batteriespeichern gemeldet. In vier Jahren hat sich somit die verfügbare Speicherkapazität aus stationären Batterien in Deutschland versiebenfacht. Zum Vergleich: Die Kapazität aller Pumpspeicherkraftwerke, die ähnlich wie Batteriesysteme starke Leistungsverschiebungen im Stromnetz abfangen können, beträgt heute rund 39 GWh.
Der überaus größte Teil an stationärer Speicherkapazität – nahezu 80% – stammt nicht aus Großspeichern, sondern aus Heimspeichern mit einer Speicherkapazität von bis zu 30 Kilowattstunden (kWh). Allerdings nimmt der Anteil der Großspeicher in den letzten Monaten zu. Über 98% der stationären Batteriespeicher setzen auf die Lithium-Ionen-Technologie.
Bevor wir versuchen, die Treiber und Hindernisse der schnellen und massenhaften Skalierung von stationären Speichern zu identifizieren, sollten wir die Zielmarke für den Hochlauf der Technologie kennen. Nun ist genau dies bei einem dynamischen Projekt wie der Energiewende, die starker politischer und makroökonomischer Volatilität unterworfen ist (pun intended) und die zudem in einem liberalisierten Energiemarkt stattfindet, der keine planwirtschaftlichen Parameter kennt, nahezu unmöglich. Die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme haben dies in der eingangs erwähnten Studie trotzdem auf Basis mathematischer Modellierungen versucht und kommen für die Batterietechnologie zu folgendem Schluss:
„Ein weiteres wichtiges Element der Flexibilisierung sind stationäre Batteriespeicher, für die im Jahr 2050 eine installierte Kapazität zwischen 50 GWhel und 400 GWhel für die untersuchten Szenarien resultiert.“
Ein lineares Fortschreiben des seit 2019 eingeschlagenen Wachstumspfads beim Zubau stationärer Stromspeicher würde also gerade einmal das untere der beiden in der Studie aufgeführten Ziele erreichen. Immerhin. Wie wir aus anderen Bereichen, etwa der Photovoltaik, wissen, schreitet die Durchdringung einer neuen Technologie ab einem gewissen Punkt jedoch nicht mehr linear voran, sondern exponentiell. Insbesondere aufgrund der stark fallenden Kosten für Lithium-Ionen-Batteriespeicher ist auch hier davon auszugehen, dass das Wachstum exponentiell sein wird und nebenbei gesagt offensichtlich schon ist. Das Erreichen der Zielmarke von 400 GWhel erscheint somit nicht utopisch.
Andere Gründe, die die schnelle Skalierung einer neuen Technologie behindern können, sind
Allein der letzte Punkt – die Verfügbarkeit der benötigten Ressourcen für den Bau von Batteriespeichern im großen Maßstab – bereitet den Experten noch Kopfzerbrechen. Die anderen aufgeführten Punkte sind entweder schon heute zu ignorieren (das NIMBY-Phänomen ist zumindest bisher für stationäre Speicher nicht bekannt) oder unterliegen sowieso einem ständigen Wandel, der bisher aber die Einführung der Technologie nicht ausgebremst hat.
So ist es nicht verwunderlich, dass etwa die Unternehmensberatung Wood Mackenzie eine Verzwanzigfachung der Kapazität aus Großspeichern in Europa allein bis 2031 voraussieht. Auch für den deutschen Markt gehen Forscher weiter von stark wachsenden Kapazitäten aus, sowohl im Bereich Heimspeicher als auch im Bereich Großspeicher. Die aktuellen Treiber dieser Entwicklung liegen in den hohen Strompreisen, die durch den Einsatz von Batteriespeichern in Haushalten, aber auch in Gewerbe und Industrie, gedämpft werden können, insbesondere durch die Erhöhung des Eigenverbrauchs von selbst erzeugtem Solarstrom. Zusätzlich lassen sich Spreads, also die Unterschiede zwischen besonders günstigen Viertelstunden und besonders teuren Viertelstunden, im untertägigen Handel an der Spotbörse nutzen, um Großspeicher wirtschaftlich zu betreiben.
Stationäre Stromspeicher eignen sich ideal für die kurzfristige Speicherung von Strom – nicht für eine saisonale Speicherung über Wochen oder Monate hinweg. Für eine optimale Wirtschaftlichkeit sollten stationäre Batterien den eingespeicherten Strom nicht zu lange halten. Für gewöhnlich weisen sie einen bis zwei Vollzyklen pro Tag auf. Dies bedeutet, dass sie ein oder zwei Mal pro Tag voll geladen und entladen werden. Entsprechend sind es die äußerst kurzfristigen Strommärkte, auf denen sich Batteriespeicher schon heute refinanzieren.
Dazu zählen der Primärregelleistungsmarkt (PRL/FCR) sowie der Sekundärreservemarkt und die Spotmärkte der Strombörse. Wohlgemerkt sind es nicht nur stationäre Großspeicher, die an diesen Märkten teilnehmen, sondern auch bereits vernetzte Heimspeicher. Batteriesysteme tragen also schon heute erfolgreich dazu bei, das Stromnetz durch Frequenzregulierung stabil zu halten und Leistungsschwankungen von Solar- und Windstrom abzufedern. Das Volumen der bereits angemeldeten neuen Batterieprojekte in Deutschland lässt darauf schließen, dass die Verantwortung, die Batteriespeicher im Gesamtenergiesystem übernehmen, weiter enorm steigen wird.
Weitere Einsatzbereiche von stationären Batteriespeichern sind Hybridsysteme mit PV-Großanlagen (über die sogenannten Innovationsausschreibungen), aber auch Netzbooster zur Vermeidung von lokalen Netzengpässen oder sogar schwarzstartfähige Batteriesysteme.
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Wer die Flexibilität von Batteriespeichern dem System zur Verfügung stellen und Erlöse an den Märkten erzielen möchte, arbeitet hierzu in der Regel mit einem Vermarkter zusammen. Wichtig ist, dass die verfügbare Flexibilität aus stationären Batterien auf möglichst vielen Märkten platziert werden kann, um kurzfristig auf Preisverschiebungen zwischen den Märkten reagieren zu können. Die Cross-Market Optimization, die wir über unser Virtuelles Kraftwerk anbieten, ermöglicht stabilere Einnahmen als die Ausrichtung auf ein einziges Marktsegment. Entsprechend spielen stationäre Batteriespeicher auch in unserem Virtuellen Kraftwerk, in dem insgesamt wir über 15.000 dezentrale Anlagen verschiedener Technologien vernetzt haben, eine wachsende Rolle. Über unser Leitsystem nehmen stationäre Batteriespeicher am Regelenergiemarkt teil. Zusätzlich nutzen unsere Stromhändler die Flexibilität der Batteriespeicher im Virtuellen Kraftwerk, um über Arbitragegeschäfte die Fluktuation von Strompreisen zu nutzen. Ist viel Windstrom oder Solarstrom im System, fallen die Preise im untertägigen Handel an der Spotbörse und die vernetzten Batteriespeicher werden zu niedrigen Preisen geladen. Kommt es im Tagesverlauf zu einem Leistungsabfall von Photovoltaik oder Windkraft (etwa wenn die Sonne untergeht oder eine Windfront weitergezogen ist), steigen die Strompreise wieder an und die Batteriespeicher speisen den gespeicherten Strom wieder ins Netz ein.
Aus technischer Sicht ist die enorm hohe, schnelle und exakte Regelbarkeit von Batteriespeichern hervorzuheben. Dadurch lassen sich Leistungsanforderungen der Übertragungsnetzbetreiber, aber auch das Abfahren von Arbitrage-Fahrplänen, extrem schnell und zuverlässig umsetzen.
Ökonomisch betrachtet sind die Preise für Flexibilität im Moment sehr vorteilhaft für Batteriespeicher, sowohl auf dem Regelenergiemarkt als auch auf den Spotmärkten, was sich in hohen Erlösen bei der Flexibilitätsvermarktung zeigt. Auch perspektivisch bleibt das ökonomische Makroklima aus unserer Sicht heiter: Das Ausscheiden konventioneller Flexibilitätsoptionen sowie der weitere Zubau von fluktuierenden Stromerzeugern erhöht den Bedarf an neuen Lieferanten für den Schwankungsausgleich in den Stromnetzen und somit an den Strommärkten.
Marktseitig zeichnen sich bereits erste Sättigungstendenzen auf dem Primärregelleistungsmarkt ab, den Batteriespeicher schon heute dominieren. Zukünftig werden daher sowohl der Sekundärreservemarkt als auch das Geschäftsmodell der Arbitrage auf den Spotmärkten eine größere Rolle spielen.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
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