Vor einigen Monaten haben wir mit drei Experten die Beeinflussung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik durch die Abhängigkeit von Energieimporten diskutiert – mit durchaus gemischten Ansichten. Nun haben wir die gleichen Fragen an Prof. Dr. Claudia Kemfert vom DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) gestellt. Sie legt sich fest – mit eindeutigen Antworten.
Jan Aengenvoort: Frau Prof. Kemfert, würde Deutschland auch Kriegsmaterial an Saudi-Arabien liefern, wenn kein Mensch mehr Erdöl bräuchte?
Claudia Kemfert: Ich würde mir wünschen, Deutschland würde überhaupt gar kein Kriegsmaterial in die Welt liefern – egal wohin. Nicht nur, weil es grundsätzlich keine Kriege mehr geben sollte, sondern vor allem auch, weil die wirtschaftliche Stärke eines Landes nicht vom Export von Rüstungsgütern abhängen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem konkreten Fall auch in Saudi Arabien kein Kriegsmaterial mehr benötigt wird, steigt, wenn dort eine dezentrale Energieversorgung mit Erneuerbarer Energien, vor allem Solarenergie, für mehr Wohlstand, soziale Gleichheit und Demokratie betrieben werden würde. Deutschland sollte somit eher auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Technologien und Materialien exportieren, anstelle von Kriegsmaterial.
Jan Aengenvoort: Woran machen Sie den Einfluss von Energiefragen auf sicherheits- und außenpolitische Entscheidungen fest?
Claudia Kemfert: Der Einfluss auf Energiefragen steigt mit der Konzentration der Energieressourcen auf wenige Länder, dem Grad der Demokratie und dem gleich verteilten Wohlstand in einem Land. Je konzentrierter in der Welt begehrte Energieressourcen sind, je abhängiger somit importierende von wenigen exportierenden Ländern sind, desto mehr sind außenpolitische Entscheidungen mit Sicherheitsaspekten verknüpft. Je diktatorischer und korrupter eine Regierung in einem Land ist, desto größer sind die sicherheitspolitischen Gefahren, dass fossile Energien – insbesondere Öl – als geopolitische Waffe eingesetzt werden. Der Einsatz der Atomenergie beispielsweise war seit jeher eine sicherheitspolitische Frage, da nicht jedes Land Nukleartechnologie friedlich einsetzt. Jegliche Energieform, die entweder zu Kriegszwecken oder aber zur Ausübung von Macht eingesetzt werden kann, hat grundsätzlich eine sicherheitspolitische Dimension. Somit ist der Einsatz von fossiler Energie und auch Nuklearenergie immer eng an sicherheits- und außenpolitische Entscheidungen geknüpft- und kann ja nach Ausprägung von Wohlstand, Demokratie und Partizipation als Kriegswaffe eingesetzt werden.
Jan Aengenvoort: Der Global Peace Index zeigt jährlich auf, in welchen Staaten welcher Grad an Frieden herrscht. Auffällig ist, dass Förderländer von konventionellen Energien einen geringeren Grad an Frieden erleben als die Nehmerländer. Nehmen wir einmal an, Deutschlands Abhängigkeit von Energieimporten – heute werden über 70% des Primärenergiebedarfs importiert – würde durch die Umstellung der kompletten Energiewirtschaft auf regenerative Quellen verschwinden. Würde dies zu weniger Gewalt auf der Erde führen?
Claudia Kemfert: Ja, eindeutig. Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt auf der Welt. Wir sollten es allesamt unterstützen. Der Einsatz von Erneuerbaren Energien ist dezentral und partizipativ. So wird die Demokratie gestärkt. Zudem kann auch der gleichverteilte Wohlstand wachsen, da Menschen so Zugang zu Energie bekommen, denen es vorher kaum möglich war; sei es weil sie gar keinen Zugang zum Stromnetz hatten oder aber es aus ökonomischen Gründen nicht möglich war. Der Einsatz Erneuerbarer Energien findet dezentral und regional statt, weniger Energie muss importiert werden. Auch dies vermindert geopolitische Konflikte.
Jan Aengenvoort: Führt gegenseitige Abhängigkeit auch in energiepolitischen Fragen denn nicht auch zu einem erhöhten Druck auf Staaten, friedlich miteinander umzugehen?
Claudia Kemfert: Nur wenn die Länder durch Regierungen gelenkt werden, die ausreichend Demokratie, Partizipation und gleichverteilten Wohlstand zulassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Konzentration von fossiler Energie zu Korruption und diktatorischen Gebaren führt, ist relativ hoch. Somit steigt so die Gefahr, dass zumindest ein Land kein Interesse an einem friedlichen Umgang hat und aus energiepolitischen Interessen heraus Machtpolitik ausübt.
Jan Aengenvoort: Wie erleben Sie die Debatte um die Energiewende in Bezug auf die energiepolitischen Fragen nach Versorgungssicherheit? Wird der Beitrag, den Erneuerbare Energien zur Verringerung der Energieimportquote leisten, genügend gewürdigt?
Claudia Kemfert: Eindeutig nein. Die Energiedebatte wird durch alle möglichen Mythen gestört, die nicht auf Fakten beruhen, sondern zum Ziel haben, auf konventionelle Energien beruhende Geschäftsmodelle möglichst lang am Leben zu erhalten. Dass mit der Energiewende ein Ende des Imports fossiler Energien einhergeht und wir so mehr Versorgungssicherheit ermöglichen und uns den geopolitischen Gefahren nicht weiter aussetzen, wird in der öffentlichen Debatte komplett ausgeblendet. Im Gegenteil, es wird ja behauptet, die Erneuerbaren Energien würden die Versorgungssicherheit gefährden. Absurd.
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Jan Aengenvoort: Wäre es Ihrer Meinung nach möglich, den politischen – insbesondere außen- und sicherheitspolitischen – Vorteil einer geringeren Energieimportquote durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu quantifizieren?
Claudia Kemfert: Man kann den ökonomischen Vorteil geringerer Energieimporte quantifizieren. In Deutschland werden durch die Energiewende und den Einsatz Erneuerbarer Energien beispielsweise Energiekosten von bis zu 11 Mrd. Euro pro Jahr eingespart. Welche Konflikte um fossile Energien welche Kosten verursachen ist sicherlich nur schwer zu quantifizieren. Ein möglicher Indikator für geopolitische Konflikte, beispielsweise beim Öl, sind ein steigender Ölpreis und die damit verbundenen Kosten. Dennoch ist es schwer, insbesondere den außen- und sicherheitspolitischen Vorteil verringerter fossiler Energieimporte ernsthaft zu quantifizieren. Aber auch wenn es nicht eindeutig quantifizierbar ist, ist es extrem relevant und leider in der Gesamtbilanz zu sehr vernachlässigt.
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