Erneuerbare Energien sind die Eckpfeiler unserer zukünftigen Energieversorgung. Dennoch wurden im Jahr 2023 allein 10.479 GWh grüner Energie gezielt abgeregelt. Welche Gründe stecken hinter dieser Abregelung und welche Wege gibt es, um sie in Zukunft zu minimieren?
Jahrelang beherrschte immer nur die Sorge vor der Dunkelflaute die Debatten. Was, wenn zu wenig Wind weht und die Sonne nicht scheint? Kann ein auf Erneuerbaren Energien basierendes System solche Situationen stemmen? Mittlerweile rückt aber ein anderes Thema auf die Agenda, das vielleicht auf den ersten Blick wie ein Luxusproblem aussieht: Tage, an denen die Sonne zu großzügig ist und viel Wind weht. So viel, dass die Preise an den Strombörsen in drei- oder vierstellige Minusbereiche fallen und sich trotzdem kein Abnehmer mehr finden lässt. Und das Problem sind nicht nur die negativen Preise: Wenn zu viel Strom ins Netz fließt, kann auch die Netzstabilität an ihre Grenzen kommen.
Nach Angaben der europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) gab es im Jahr 2023 eine deutliche Zunahme der Stunden mit negativen Strompreisen im europäischen Day-Ahead-Markt. Die Anzahl solcher Stunden stieg auf 6.470, verglichen mit nur 558 Stunden im Jahr 2022. In Deutschland machten diese Stunden mit negativen Preisen laut ACER etwa 300 Stunden aus, was rund 3,4 % der gesamten Handelsstunden im Jahr 2023 entspricht.
Und diese Situation wird sich weiter verschärfen.
Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet entsprechend der von der Bundesregierung formulierten Ausbauziele stetig voran. Ein Blick auf die derzeitige installierte Solarleistung zeigt, dass in Deutschland bereits jetzt mehr als 3,3 Millionen PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 76,5 Gigawatt installiert sind. Bis 2030 soll die Gesamtleistung fast verdreifacht werden.
In Anbetracht solcher Szenarien stellt sich die Frage: Was passiert, wenn allein in diesem Jahr weitere 13 Gigawatt Solarleistung zugebaut werden? Wie halten wir ein Netz stabil, wenn sehr sonnige Tage zu exzessiven Energieerzeugungsspitzen führen? Die Antwort liegt derzeit in einem Wort: Flexibilität.
Werfen wir zunächst einen Blick darauf, was in diesem Zusammenhang unter Flexibilität zu verstehen ist.
Flexibilität bedeutet, dass unser Energiesystem sich an die volatilen Bedingungen anpassen kann. Besonders bei erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft ist diese Flexibilität entscheidend, da die Energieerzeugung stark von wechselnden Wetterbedingungen abhängig und somit schwer vorhersehbar ist. Wenn die Sonne also auf Hochtouren scheint und Solarmodule ein Überangebot an Strom erzeugen, müssen wir sicherstellen, dass unser Stromnetz nicht überlastet wird.
Aktuell gibt es erst eine begrenzte Zahl an Möglichkeiten, um diese erforderliche Flexibilität zu erreichen. Neben steuerbaren Kraftwerken – etwa Gaskraftwerken oder auch Biogas- und KWK-Anlagen – die kurzfristig ihre Produktion anpassen können, ist hier vor allem die Abregelung von Solar- und Windkraftanlagen zu nennen. Hierbei werden Anlagen abgeschaltet, die Energieerzeugung also bewusst reduziert, um das Gleichgewicht zwischen dem Angebot und der Nachfrage im Stromnetz aufrechtzuerhalten und der Unvorhersehbarkeit entgegenzuwirken. Aber warum ist es notwendig gerade Erneuerbare-Energien-Anlagen abzuschalten? Hier sind einige Gründe dafür:
Einer der Hauptgründe liegt vor allem in der fehlenden Flexibilität der konventionellen Kraftwerke. Sie können nicht schnell genug hoch- oder heruntergefahren werden, um auf die schwankende Verfügbarkeit erneuerbarer Energien wie in diesem Fall Solarkraft zu reagieren. Daher müssen flexible Anlagen, wie eben PV-Anlagen, abgeregelt werden, um eine Überlastung des Netzes zu verhindern.
Ein weiterer Grund für die Abregelung von Solarenergie liegt in der Tatsache, dass an sehr sonnigen Tagen die installierten Anlagen teilweise ihre maximale Leistung erreichen. Dies führt zu einer Überkapazität an erzeugter Energie, die wir bislang noch nicht nutzen und auch nicht speichern können.
Um diese Herausforderung zu verdeutlichen, werfen wir einen Blick auf die Tage, an denen es zu solch einer Situation gekommen ist. An einem sonnigen Pfingstwochenende letzten Jahres, begleitet von mäßigem Wind, erreichten die volatilen Anlagen eine bemerkenswerte Leistung von bis zu 44 GW bei gleichzeitig schwacher Last. Diese eigentlich erfreulich hohen Einspeisewerte wirkten sich deutlich auf die Börsenpreise aus: Die Preise an den Strombörsen stürzten ins Negative und lagen zur Mittagszeit bei -150 €/MWh, da das verfügbare Angebot die Nachfrage um ein Vielfaches übertraf. Das bedeutet, dass Stromanbieter kräftig dafür zahlen mussten, um überhaupt Abnehmer für ihren Strom zu finden.
Am 2. Juli 2023 kam es auch zu einer solcher Überkapazität. So erreichte der Preis für Strom, der zwischen 14 und 15 geliefert werden sollte, das absolute Tief von – 500 €/MWh. Das entspricht dem maximalen negativen Wert, der im Day-Ahead-Handel überhaupt erreicht werden kann. In diesem Jahr setzte sich der Trend negativer Strompreise weiter fort. Besonders auffällig war dies am ersten Aprilwochenende, als die Preise über mehrere Stunden hinweg an zwei aufeinanderfolgenden Tagen unter die Nullgrenze fielen. Im Day-Ahead-Handel sanken die Preise auf bis zu –60 €/MWh und im Intraday-Handel sogar auf den Extremwert von –9999 €/MWh, der niedrigst mögliche Preis auf diesem Markt. Trotz der Abregelung zahlreicher Anlagen, die durch die deutlich negative Residuallast an diesem Wochenende erkennbar war, zeigt sich, dass der Markt noch nicht effizient genug auf Überschusssituationen reagieren kann. Am 1. Mai setzte sich der Feiertagstrend fort, was zu acht Stunden mit negativen Preisen führte, gefolgt von weiteren fünf Stunden am Folgetag.
Da erneuerbare Energien als nachhaltige Ressourcen eine zunehmend zentrale Rolle in der Energieversorgung spielen, ist es hier wichtig zu betonen, dass sie nicht die zugrunde liegende Herausforderung darstellen. Vielmehr ist es eben eine noch nicht auf die neuen Erzeugungsbedingungen angepasste Infrastruktur, die die Abregelung momentan noch erforderlich macht, um das Stromnetz stabil zu halten. Angesichts dieser Tatsache ist es entscheidend, den Blick auf alternative Lösungsszenarien zu lenken, die es ermöglichen, die Abregelung zukünftig zu minimieren und die maximale Nutzung erneuerbarer Energien zu gewährleisten. Hierbei sind verschiedene Möglichkeiten und Ansätze denkbar:
Eine der zentralen und wohl wichtigsten Lösungsoptionen besteht darin, die Stromnetzinfrastruktur auszubauen, um überschüssige Energie aus sonnenreichen Regionen in Gebiete mit höherem Energiebedarf zu transportieren. Dieser Ansatz ermöglicht es insbesondere Netzengpässe zu verhindern, während die Photovoltaik-Kapazität weiter ausgebaut wird.
Die Verknüpfung verschiedener Energiesektoren wie Strom, Wärme und Mobilität, kann zusätzlich dazu beitragen, Abregelungen zu minimieren. Durch die Nutzung von überschüssigem Strom zur Erzeugung von Wärme oder zur Elektrifizierung von Verkehrsmitteln kann überschüssige Energie sinnvoll genutzt und gleichzeitig die Effizienz des Gesamtsystems gesteigert werden.
Durch den Einsatz von Speichertechnologien wie z.B. Batterie- und Pumpspeicher kann der Überschuss an Energie in Zeiten geringer Nachfrage effizient gespeichert und bei Bedarf wieder in das Energiesystem eingespeist werden. Über das Instrument der Innovationsausschreibung werden vom Staat sinnvolle Anlagenkombinationen, etwas aus einer PV-Anlage und einem Speicher, aktiv gefördert.
Demand Response ermöglicht es, den Energieverbrauch flexibel zu gestalten und an die aktuelle Erzeugungssituation anzupassen. Das bedeutet, dass beispielsweise planbare Industrieprozesse dann umgesetzt werden, wenn viel Strom im Netz ist. Umgekehrt sollten die Maschinen dann ruhen, wenn gerade wenig Strom verfügbar ist. Hiervon profitiert nicht nur das Stromnetz, auch die Energiekosten der Unternehmen könnten so deutlich gesenkt werden.
Die Bundesnetzagentur hat kürzlich eine Konsultation zum Ansatz “Nutzen statt Abregeln 2.0” gestartet, um die Abregelung von erneuerbaren Energien sowie die damit verbundenen Redispatchkosten zu reduzieren und zugleich die Netzstabilität zu erhöhen.
Durch den Einsatz steuerbarer Verbraucher wie Batteriespeicher, Großwärmepumpen und Elektrolyseure soll der sonst abgeregelte Strom effektiv genutzt werden. Ab Ende Oktober 2024 beginnt eine zweijährige Testphase, die von den Übertragungsnetzbetreibern geleitet wird und ab 2026 sind tägliche wettbewerbliche Ausschreibungen geplant. Die ÜNB sind dabei außerdem für die Zuteilung der zu verbrauchenden Mengen verantwortlich, wobei Teilnehmer, die ihre Anlagen zur Verfügung stellen, im Gegenzug Strom zu vergünstigten Preisen erhalten.
Laut Bundesnetzagentur stellt dieser Ansatz jedoch weiterhin keinen Ersatz für den dringend benötigten Ausbau des Stromnetzes dar. Vielmehr soll er dazu beitragen, die Auswirkungen der bestehenden Netzengpässe zu mildern, indem er den zusätzlichen Stromverbrauch fördert.
Die Zukunft der Energieerzeugung gehört zweifelsohne den erneuerbaren Energien. Neben dem konsequenten Ausbau dieser Technologien ist es daher entscheidend, weiter an der Flexibilisierung und Vernetzung des Energiesystems zu arbeiten, um die beschriebenen Herausforderungen bewältigen zu können. Die Abregelung von erneuerbaren Energien mag heute eine effiziente und vorübergehende Lösung darstellen, aber sie sollte nur ein Schritt auf dem Weg in die richtige Richtung sein. Ein auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystems erfordert ein ganzheitliches Denken und die Bereitschaft, innovative Ansätze zu verfolgen. Auf diese Weise können wir die Nachhaltigkeit unseres Energieversorgungssystems sicherstellen und die Erneuerbaren voll ausschöpfen.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
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